Ein Besuch in Findhorn, einem der ältesten Ökodörfer Europas, im Norden Schottlands.
„Heute steht die Zucchini-Ernte am Programm“, erklärt mir Louise-Marie aus Belgien an meinem „Short Term Guest Morning“ im großen, ökologisch bewirtschafteten Gemüsegarten von Findhorn. Kurzzeitbesucher des Ökodorfs können sich dabei einen Eindruck des Lebens in Findhorn verschaffen. Bevor wir uns an die Arbeit machen, bleiben wir am Feldrand stehen, reichen uns die Hände und versetzen uns in Gedanken in die Zucchini, die wir gleich ernten werden. „Wir behandeln das Gemüse wie Kinder, behutsam wie eine Mutter und geben ihnen Kraft wie ein Vater“, erklärt mir Louise-Marie ihre Philosophie beim Gärtnern.
Diesen Grundsatz schärft sie mir nochmals ein, als wir später filigrane Spinatpflänzchen behutsam in die Erde setzen in dem Folien-Tunnel, für den sie zuständig ist. So gut es geht, versuche ich, mich in die zarten Setzlinge hinein zu versetzen. Sanft bette ich sie in ihr neues Zuhause in der sandigen Komposterde (Mutter), bevor ich die Erde rund um die feinen Stängel genauso behutsam wie fest andrücke (Vater).
Flache Hierarchie
Das bunte Pflanzen-Durcheinander im Folientunnel, in dem Kapuzinerkresse, Tomaten, Blumen und andere Gemüsearten üppig wuchern, ist aber nur ein Scheinbares. Wie die Pflanzpläne zeigen, steckt hinter dem vermeintlichen Chaos durchaus Ordnung. Für diese sorgt in gewisser Weise auch „Focalizer“ Friederike. Ursprünglich aus Norddeutschland, schaut sie jetzt in Louise-Maries Folientunnel vorbei, gibt aber bestenfalls Ratschläge, niemals Anweisungen. Denn die Hierarchie hier in Findhorn ist bewusst flach gehalten.
„Focalizer sind diejenigen, die eine Gruppe halten, nicht führen“, erklärt mir später Durten, die bereits seit 20 Jahren in Findhorn lebt und ebenfalls aus Deutschland hierher kam. „Jeder kann in Findhorn seine Meinung vorbringen, jede Stimme soll gehört werden.“ Jeden Mittwoch gibt es beispielsweise ein Küchentreffen, bei dem alle ermutigt werden, ihre persönlichen Angelegenheiten vorzubringen. Entscheidungen kommen nach dem Prinzip „You go with the flow“ („Mit dem Strom schwimmen“) zustande. Diejenigen, die nicht dafür sind, sind auch nicht dagegen und arbeiten aktiv mit an dem Projekt, für das sich die Mehrheit entschieden hat.
Erstes modernes Ökodorf Europas
Etwa 500 Menschen leben im Ökodorf Findhorn im Norden Schottlands in der Nähe von Forres. 1962 gegründet, gilt es als eines der ersten modernen Ökodörfer Europas. 2012 feierte es seinen 50. Geburtstag. In der Siedlung mit den vielen Passivhäusern, aber auch Strohballen-, Holz- und den berühmten Whiskeyfässer-Häusern sucht man Straßen, Autos und Garagen vergeblich. Stattdessen führen schmale Fußpfade durch das Dorf.
Auf einem dieser Wege gelangt man zur „Main Sanctuary“, wohin jeden Morgen um 8.45 Uhr die Menschen zur Meditation strömen. In dem kleinen Raum mit dem Sesselkreis gehen sie eine Viertelstunde lang in die Stille, schließen die Augen, meditieren, bevor sie – innerlich geschärft – in ihren Arbeitstag hinaus gehen – zur Baustelle, in die Küche, ins Büro, in den Wald oder in den Gemüsegarten.
Gemeinsames Einstimmen
“Attunement”, also gemeinsames Einstimmen, ist das am häufigsten praktizierte Ritual in Findhorn. Bevor man etwas gemeinsam beginnt, sei es nun eine Mahlzeit, eine Arbeit, eine Sitzung etc. nimmt man sich an den Händen, übt sich für einige Momente in Kontemplation, besinnt sich ganz auf den Augenblick. „Wir alle haben die Fähigkeit, auf unsere innere Stimme zu hören“, erklärt Durten.
Findhorn wurde ursprünglich vorwiegend als spirituelle Gemeinschaft vom Ehepaar Eileen und Peter Caddy und ihrer Freundin Dorothy MacLean gegründet. Eileen war damit einer übersinnlichen Botschaft gefolgt, die sie nach eigenen Aussagen von einer göttlichen Stimme empfangen hatte. Dieselbe Quelle wies sie in den 1970er-Jahren allerdings an, ihre Botschaften nicht mehr an die – inzwischen stark angewachsene Community – weiterzugeben. Die Menschen sollen seither in Findhorn vielmehr dazu ermuntert werden, auf ihre eigene Intuition zu hören.
Spiritualität, Gemeinschaft und Nachhaltigkeit
Neben Spiritualität und Gemeinschaftsleben versucht man im Ökodorf Findhorn auch in Bezug auf Nachhaltigkeit ein Vorbild zu sein: Neben einer ökologischen Bauweise wird das Dorf mit erneuerbarer Energie aus dem eigenen Windpark versorgt und das Abwasser in einer biologischen Abwasseraufbereitungsanlage „The Living Machine“ gereinigt.
„Wir möchten zu einer positiveren und nachhaltigeren Zukunft beitragen, zu einem neuen Bewusstsein. Wir verstehen uns als Demonstrations-Ort für bewusstes, liebevolles Handeln“, erklärt Durten. Ein reger Seminarbetrieb sorgt dafür, dass das Beispiel hinaus in die Welt getragen wird. Gäste aus aller Herren Länder reisen an zu Workshops wie der „Ecovillage Experience Week“, „Gaia – Design for Sustainabilty“ oder „Living in community“. Die Besucher bleiben von wenigen Tagen oder Wochen bis zu einem Jahr, um die Grundsätze Findhorns wie „co-creation with nature – Zusammenarbeit mit der Intelligenz der Natur“, friedvolle Beziehungen, Nachhaltigkeit auf allen Ebenen etc. zu verinnerlichen.
„Findhorn möchte ein lebendes Beispiel sein, eine konstruktive Antwort auf die Probleme unserer Zeit“, erklärt mir der Philosoph Roger am Ende meines Aufenthalts in Findhorn. Er ist bekennender Zyniker, lebt in einem der Whiskeyfasshäuser und gehört seit 40 Jahren zum Ökodorf. Stellt sich nun die Frage: Kann Findhorn die Welt retten? „Wir wissen, was wir tun sollten und deshalb ist es wichtig, dass Menschen aus der ganzen Welt zu uns kommen und von unserem Beispiel lernen“, meint dazu Roger, der Philosoph, was so viel bedeutet wie „Freund der Weisheit“.
Hier geht’s zu den Workshops in Findhorn
Maria Zamut