Mit den steigenden Anforderungen in der Schule fühlen sich Kinder wie Eltern oft überfordert. Meist fehlt die Zeit, den Kindern neben der eigenen Arbeit bei den Hausaufgaben noch zu helfen. Doch gerade in der Bildung liegt der Schlüssel für ein erfolgreiches Leben. Drei Caritas-Lerncafés helfen Kindern und Jugendlichen in Oberösterreich, ihre Zukunft selbst in die Hand zu nehmen.
Marchtrenk. Kurz nach Mittag strömen Kinder und Jugendliche aus der Neuen Mittelschule. Die meisten biegen in Richtung Ortsmitte ab, gehen zum Mittagessen nach Hause oder spielen noch mit Freunden. Für manche ist der Weg ganz kurz: Sie gehen ins gegenüber liegenden Volkshaus – zum Lernen, und das ganz freiwillig.
Im Erdgeschoß des Volkhauses wartet Michaela Lehofer. Sie betreut das Lerncafé, das die Caritas im November 2011 eröffnet hat. Was klein begann, ist gewachsen: Mittlerweile gibt es in Marchtrenk zwei Gruppen, die parallel betreut werden. Auch Wels hat schon zwei Lerncafés.
Obwohl die Schule gerade erst vorbei ist, sind viele der Jugendlichen schon voller Tatendrang. Selbständig setzen sie sich an ihre Hefte und fangen mit den Hausaufgaben an. Während der 14-jährige Berkan am Computer für ein Referat über das Schloss Belvedere recherchiert, lernt die 15-jährige Nicolette Deutsch. Bis vor zwei Jahren lebte sie in Ungarn. Als ihre Mutter einen Österreicher heiratete, zogen sie nach Marchtrenk. Die Hauptschülerin kann mittlerweile gut Deutsch und ist in den Hauptfächern jeweils in der zweiten Leistungsgruppe. Das reicht ihr aber nicht: Nicolette möchte in eine höhere Schule aufgenommen werden. Um das zu schaffen, kommt sie regelmäßig ins Lerncafé.
Manchmal ist das Lernen nicht die oberste Priorität
An vier Tagen pro Woche ist das Lerncafé ab 13 Uhr geöffnet. Nicht bei allen ist genügend Motivation vorhanden, um sich sofort an die Hausübungen zu setzen. Als manche schon intensiv am Arbeiten sind, schlendert ein Junge mit gesenktem Kopf durch die Tür. Obwohl er deutlich niedergeschlagen ist, begrüßt er alle Erwachsenen mit einem Händeschütteln. “Na, hattest du keinen guten Tag?”, fragt Michaela Lehofer. Dem Jungen ist nicht nach Reden zumute. “Nein”, meint er nur, setzt sich an einen leeren Tisch und schaut aus dem Fenster. Nach einiger Zeit zeigt sich doch sein Redebedarf. “Meine Mutter hatte heute die letzte Therapie”, erzählt er. Und meint damit: Chemotherapie.
Für den 13-Jährigen ist das Lernen nicht so wichtig, wenn er ins Lerncafé kommt. Dafür hat er gerade gar keinen Kopf. Für ihn bietet dieses Zimmer im Volkshaus einen Raum für die Sorgen, die er jenseits der Rechenaufgabe in Mathe oder des Biologietests hat – Raum, den ihm die Schule nicht gibt.
“Wenn die Eltern finanzielle Probleme haben, umziehen, sich scheiden lassen oder keine Zukunftsperspektive haben, wirkt sich das auch sehr belastend auf die Kinder aus – und die nehmen es mit in die Schule”, erklärt Michaela Lehofer. Im Lerncafé ist Zeit, um diese außerschulischen Probleme anzusprechen und Beziehungsarbeit zu leisten – was sich auch im Verhalten der Kinder und Jugendlichen niederschlägt. “Manche Kinder, die in der Schule täglich Konflikte mit Lehrpersonal haben, arbeiten bei uns konstruktiv mit”, sagt Lehofer.
Das liegt wohl auch an der Geduld, mit der die Haupt- und Ehrenamtlichen die SchülerInnen behandeln. Es kann schon einmal vorkommen, dass ein Jugendlicher erst einmal wieder zurück in die Schule gehen muss, um seine Schulbücher zu holen, die er vergessen hat. Mit “Vermeidungsstrategien” wie diesen ist Lehofer gut vertraut. Bei der Überforderung, die viele der Kinder empfinden, sind solche Strategien für sie lebensnotwendig.
In der Praxis lernt sich’s am besten
Nach einigen Stunden im Lerncafé lässt die Konzentration der Kinder nach. Nach zwei Stunden steigt der Lärmpegel. Heute ist das Lerncafé unterbesetzt – für die drei Erwachsenen ist es schon manchmal schwierig, die 12 Jugendlichen im Zaum zu halten. Um die SchülerInnen besser zu betreuen, werden dringend mehr Freiwillige gesucht.
Erwin, ein Ehrenamtlicher aus Linz, nimmt den höheren Lärmpegel allerdings gelassen hin. Er lernt mit Nicolette für den Physiktest. Damit sie trotz des langen Lernens aufnahmefähig bleibt, geht er die Aufgabe ganz praktisch an. Er stellt sich mit ihr ans Fenster und schaut hinaus.
“Jetzt erklärst du mir die Anomalie des Wassers. Hier am Fenster sieht man es schön – wie heißt das?”, fragt er und deutet auf die kleinen Tropfen am Fensterglas. Nach kurzer Denkzeit fällt es dem Mädchen ein. “Kondensieren!” Ein Blick hinaus in den schneebedeckten Garten mit gefrorenen Eiszapfen und ein Wasserkrug im Raum zeigen die anderen Aggregatzustände.
Erwin hilft seit einem Jahr im Lerncafé mit. Davor war er in der Erwachsenenbildung tätig, empfand das aber als frustrierend. “Da ist die Luft schon draußen”, meint er. “Bei den Kindern gibt es noch mehr Neugier und Interesse am Lernen.”
Auch Jutta, einer pensionierten Lehrerin, ist es ein Anliegen mit Kindern zu arbeiten. “Seit ich 11 Jahre alt war, wollte ich Mathematik-Lehrerin werden”, erzählt sie. Ihr Vater war dagegen und drohte, ihr keine Aussteuer zu geben. Jutta studierte trotzdem – und wurde Lehrerin mit Leib und Seele. Ihrer Meinung nach kann jeder positive Noten haben werden, wenn der Wille zum Lernen da ist. Gerade am Lernwillen hapere es jedoch. Allerdings nicht wegen den SchülerInnen. “Das liegt am Informations-Überfluss.”
Ohne Spiel und Spaß geht es nicht
Weil die helfenden Hände im Lerncafé wissen, dass zu viel Information und Lernen kontraproduktiv ist, gibt es nach getaner Arbeit eine Jausenpause. Ein Buchkirchner Bäcker spendiert dafür Brot vom Vortag, manche Eltern bringen Obst mit und was an Gemüse und Aufstrichen benötigt wird, kauft Michaela Lehofer im Supermarkt – oder gibt den Kindern das Geld, damit sie selbständig lernen damit umzugehen.
Dann heißt es: den Kopf wieder frei bekommen. In der letzten Stunde, in der das Lerncafé offen hat, gehen die Kinder in den Garten, spielen Fußball oder Lego oder packen das eine oder andere Brettspiel aus. Für die 8-jährige Lea ist das der schönste Aspekt vom Lerncafé. “Mir gefällt es im Lerncafé, weil ich hier so viel spielen kann”, ist ihr erster Impuls. Nach kurzer Überlegung fällt ihr doch noch etwas ein. “Aber für die Schule ist es auch gut. Mathe fällt mir recht schwer. Wenn ich hier lerne, wird es leichter und macht mehr Spaß.”
Nähere Informationen zu den Lerncafés gibt es bei der Caritas in Oberösterreich