Es gibt Eltern, die eigens aus Deutschland nach Österreich ziehen, um ihren Kindern das Freilernen zu ermöglichen. Hierzulande kann der Schulpflicht mit Teilnahme am häuslichen Unterricht nachgekommen werden. Ein Erfahrungsbericht.
Mitten im Sauwald im Bezirk Schärding sitze ich Silke in ihrer gemütlichen Küche gegenüber. In einer Stunde muss sie sich wieder ihrem Ziegenfrischkäse widmen. Bis dahin hat sie Zeit, mir zu erzählen, wie sie mit ihren Kindern – Pia ist heute 15 und Max 13 Jahre alt – zu der Entscheidung gelangte, einen Weg ohne Schule einzuschlagen.
Es begann alles, als Pia ein halbes Jahr alt war und weiter gestillt werden wollte, während rundherum alle Mütter spätestens mit sechs Monaten abstillten. Über die La-Leche-Liga begann der Kontakt zu Menschen, die mit ihren Kindern anders umgingen als der Durchschnitt. Max wuchs windelfrei auf. Und im Umfeld tauchten Menschen auf, die ihre Kinder nicht in die Schule schicken wollten.
Bei der Auseinandersetzung mit dem Thema Freilernen merkte Silke: Das will ich für meine Kinder! Sie spürte in sich das Vertrauen, dass jeder Mensch im Leben zum richtigen Zeitpunkt lernt, was wichtig ist. Da die Familie zu dieser Zeit in Kassel lebte und in Deutschland aufgrund der Schulbesuchspflicht das Freilernen zu Hause kaum möglich war, folgte nun die Entscheidung, in ein anderes Land zu ziehen.
Es wurde Österreich – wegen der Sprache – und es wurde Oberösterreich wegen der Grenznähe und Leistbarkeit. In Österreich gibt es zwar eine Schulpflicht, diese kann jedoch durch Teilnahme am häuslichen Unterricht erfüllt werden. Man muss das Kind zwar in der zugehörigen Schule einschreiben, kann es dann aber zum häuslichen Unterricht abmelden. Am Ende des Schuljahres muss der „Erfolg“ durch eine externe Prüfung nachgewiesen werden.
Pünktlich zum Schulstart von Pia zog Silke mit den Kindern in den Bezirk Schärding. Über das Internet lernte sie andere Familien in der Nähe kennen, die sich für´s Freilernen entschieden hatten. Und so ergab sich ein Umfeld für die Kinder, in dem sie ganz ihrem inneren Tempo entsprechend lernen konnten. Viele Inhalte ergaben sich aus dem Alltag (Umbau des Hauses, Anlegen eines Gartens,…), wurden ergänzt durch Spiele, Kontakt zu Gleichgesinnten, Museumsbesuche u.ä.
Der Tagesrhythmus war nicht an Schulzeiten gebunden und so konnte es vorkommen, dass sich die Kinder abends noch vor ihre Rechenaufgaben setzten – aus eigenem Antrieb und nicht, weil „Mathestunde“ war. In den ersten drei Jahren legte Pia die Externistenprüfung in einer damit vertrauten Schule in Graz ab, dann wechselten sie zur Schule vor Ort.
Als in der vierten Klasse Noten erforderlich wurden und Pia die nötigen Inhalte nicht komplett beherrschte, war es mit der Freiheit in gewisser Weise vorbei. Aus dem Freilernen wurde häuslicher Unterricht mit Erfolgsdruck. Schwer für Pia, die verinnerlicht hatte: „Ich lerne nur für mich und für niemand anderen“. Deshalb fiel die Entscheidung (beider Kinder), in die Montessori-Schule zu wechseln und damit den „freien Weg“ auf andere Art weiter zu gehen.
Die erste Rückmeldung der Lehrkräfte in der Schule war übrigens: „Du hast aber sozial kompetente Kinder!“ Und dabei ist doch eines der gängigsten Argumente für die Schule, dass sie für die Sozialisation so wichtig sei.
Die Zeit des Freilernens ist – gerade bei Pia – nicht spurlos vorüber gegangen. Heute noch bringt sie sich selbst bei, was sie wirklich können möchte. Zum Beispiel Klavierspielen. Oder besseres Englisch. Denn der Schulunterricht ist einfach zu fad. Ihre Mutter ist ihr dabei ein gutes Vorbild. Schließlich hat sie sich gerade erst die Herstellung von Ziegenfeta selbst beigebracht. Man spürt, dass Silke ihren Weg des Freilernens aus tiefster Überzeugung geht.
Weitere Informationen auf www.homeschoolerinaustria.at und https://freilerner.at
Eva Großmann