„Mit unseren Kindern würde das nicht so gut funktionieren“, höre ich in meinem Kopf, als ich mit einer Freundin über einen Ausflug spreche. Wie vorgefertigte Bilder in unseren Köpfen unsere Beziehungen – egal ob zu Kindern oder PartnerInnen – beeinflussen, darüber schreibt Katharina Maderthaner in diesen Erziehungsfragen. 

Ein anderes Mal ist ein Vater überzeugt: „Darüber wird meine Tochter sich bestimmt ärgern.“ Manchmal scheint es uns so, als könnten wir das Verhalten unserer Kinder vorhersagen. Weil ich meine, unsere Kinder machten bei einer angedachten Aktivität sowieso nicht mit, schlug ich sie ihnen erst gar nicht vor. Gleichzeitig war in mir Wehmut darüber zu spüren, dass wir das nicht gemeinsam erleben würden. Doch wer weiß, vielleicht wäre ich positiv überrascht worden, wenn ich nicht dieses vorgefertigte Bild von der Situation im Kopf gehabt hätte.

Das Bildnis und seine Haken
Max Frisch sinniert in einem Tagebucheintrag darüber, wie es sich verhält mit der Liebe und den Bildnissen, die wir uns von der geliebten Person machen. Solange wir in einer Zeit der „Verliebtheit“ sind, sind wir neugierig und offen dem gegenüber, wie der andere sich verhält, was er/sie denkt und fühlt, wie er/sie mit der Welt in Beziehung tritt. „Eben darin besteht ja die Liebe, das Wunderbare an der Liebe, dass sie uns in der Schwebe des Lebendigen hält, in der Bereitschaft, einem Menschen zu folgen in allen seinen möglichen Entfaltungen“, schreibt Frisch. In der Beziehung zu Kindern verhält es sich ebenso. Haben wir schöne Zeiten und gute Ressourcen, kann ich leichter mit einem „verliebten“ Blick auf meine Kinder schauen und bin offener dafür, was sie in ihrer wundervollen Eigenart mitbringen.


Doch mit der Zeit kann dieses erst so spannende Rätsel, das ein Kind oder auch der Partner/die Partnerin für uns darstellt, und das wir erkunden wollen, in seiner Vielfältigkeit schwer auszuhalten sein. Unser Gehirn neigt dazu, Komplexität zu reduzieren – wir bilden Kategorien, in die wir Erlebtes einteilen. In uns entsteht ein Bild davon, wie der andere ist. Ein Haken kann sein, stets von diesem Bildnis auszugehen, welches wir uns innerlich angelegt haben. Darüber übersehen wir nämlich gern, was real an Möglichkeiten und Entwicklungspotenzial da ist. Um bei Max Frisch zu bleiben: „Wir künden ihm die Bereitschaft auf, weitere Verwandlungen einzugehen. Wir verweigern ihm den Anspruch alles Lebendigen, das unfassbar bleibt, und zugleich sind wir verwundert und enttäuscht, dass unser Verhältnis nicht mehr lebendig sei.“


Wahrnehmen, was ist
Um wirklich miteinander in Kontakt zu bleiben, müssen wir uns auf diese Lebendigkeit, auf die ständige Verwandlung, einlassen. Wir spüren nach, was unsere Bildnisse sind und machen sozusagen einen Realitäts-Check: Was ist bloß mein Bild und wie „tickt“ mein Kind tatsächlich? Sehr hilfreich ist dabei achtsames Beobachten: Einmal nichts tun, planen und wollen, sondern ohne besondere Absicht mein Kind betrachten und das auf mich wirken lassen. Wie es mit jemandem spricht, werkt oder mit anderen Kindern spielt.


Eine Freundin erzählte davon, wie sich ihre Tochter erstmals für ein Kartenspiel interessierte und es ausprobieren wollte. Ihr Kind reagiert manchmal auf Planänderungen und Ungewünschtes mit starken Emotionen und braucht viel Begleitung, um damit gut umzugehen. Deshalb hatte sie in dem Moment Sorge, wie das gemeinsame Spielen wohl laufen würde. Doch das Mädchen hörte sich gespannt die Geschichte jeder Karte an und hatte den Spielablauf bald verinnerlicht.


Es hatte großen Spaß am Spiel mit seiner Mutter und wünschte sich immer noch weitere Runden. Mal war die eine als erstes fertig, mal die andere – und es war für das Kind kein Thema, dass eben auch mal Mama als erste alle Karten ausgespielt hat. Meiner Freundin machte das Kartenspiel miteinander ebenso wirklich Freude. 


Die Mutter sah ihre Tochter in diesem kleinen Moment in einem neuen Licht, konnte sie in ihrem Wesen erfassen und fühlte sich ihr stark verbunden. So dürfen wir uns auch nach Jahren immer wieder neu von unseren Kindern und von unserer Partnerin/unserem Partner überraschen lassen.

Für mehr Freude im Leben mit Kindern!

Katharina Maderthaner, MSc (Counseling)

katharina.maderthaner@gmx.net