Grünschnabel-Interview mit einer der erfahrensten Hebammen Österreichs.
An die 3000 Babys hat Susi Schießer schon auf die Welt begleitet. Wichtig ist ihr die genaue Zahl nicht, schließlich geht es bei ihrem Beruf um etwas viel Wesentlicheres. Als frei praktizierende Hebamme ist sie ständig auf Achse, und da ihr Schwerpunkt Hausgeburten sind, ist von ihr nicht nur fachliches Wissen, sondern auch viel Fingerspitzengefühl und Menschenverstand gefordert.
Grünschnabel: Frau Schießer, viele werdende Eltern fragen sich, wie die optimale Vorbereitung auf die Geburt aussieht. Was können Sie ihnen raten?
Susi Schießer:
Die Wahrheit ist, dass man sich auf eine Geburt nicht wirklich vorbereiten kann. Werdende Eltern nehmen die Sache oft sehr ernst und meinen, unter drei Metern Büchern im Regal, sieben Kursen, Yoga für Schwangere und Bauchtanzen darf man heutzutage kein Kind mehr bekommen. Weil viele Paare nur wenige oder sogar nur ein Kind bekommen, sind die Ansprüche an Perfektion, ein wunderbares Geburtserlebnis und ein Kind, das in allen Aspekten den geltenden Normen entspricht, sehr hoch. Darum gebe ich absichtlich kaum konkrete Tipps, sondern sehe es als meine Aufgabe, eine Spur Leben in die Sache zu bringen. So sinnlich und vergnüglich wie möglich zu leben ist die beste Geburtsvorbereitung!
Grünschnabel: Vor allem beim ersten Kind sind viele aber unsicher und wünschen sich konkrete Tipps.
Susi Schießer: Natürlich gebe ich auch Tipps, aber nach dem Buffet-Prinzip: Nimm nur, was dir auch wirklich „schmeckt“. Außerdem gibt es eine enorme Informationsflut im Internet. Das Problem dabei ist aber, dass vor lauter Information manche ihre Intuition und ihren Hausverstand vergessen. Wichtig ist, das Eigene zu finden. Solange es nicht gegen Leib und Leben von Mutter oder Kind geht, ist alles erlaubt.
Grünschnabel: Welche Gründe gibt es für eine Hausgeburt? Und was spricht dagegen?
Susi Schießer: Manche werdende Eltern lehnen Krankenhäuser generell ab oder haben Angst vor der Atmosphäre im Kreißsaal. Viele haben aber viel zu romantische Vorstellungen von einer Hausgeburt, vor allem beim ersten Kind. Die Realität schaut dann oft ganz anders aus. Meiner Erfahrung nach inszenieren Kinder sich ihren Auftritt auf der Bühne des Lebens selbst, und das entspricht dann manchmal so gar nicht den Vorstellungen der Eltern. Es ist aber wichtig, schon bei der Geburt Respekt vor der Eigenart des Kindes zu haben.
Es gibt natürlich auch medizinische Gründe, die absolut gegen eine Hausgeburt sprechen, wie zum Beispiel Steißlagen, Zwillingsgeburten, Risikoschwangerschaften oder wenn die Frau schon beim letzten Kind einen Kaiserschnitt hatte.
Grünschnabel: Wie hat sich die Rolle der Väter bei der Geburt und in der Zeit danach aus Ihrer Sicht verändert?
Susi Schießer: Prinzipiell beobachte ich den sehr positiven Trend des gemeinsamen Nestversorgens. In den ersten Tagen dürfen sich Mutter, Vater und Kind ungestört als Menschen finden. Eine Kuriosität sind aus meiner Sicht jedoch jene Väter, die sehr vereinnahmend sind. Da bekommen die Mütter ihre Neugeborenen nur mehr zum Stillen „serviert“, und bei allem anderen drängt sich der Vater in den Vordergrund. Aber das ist natürlich die Ausnahme. Für junge Mütter ist es wichtig, ihren Brut-Instinkt kennenlernen zu können. Die Intimität zwischen Mutter und Säugling ist in den allerersten Tagen nach der Geburt etwas sehr Exklusives, das sollten auch Groß- und Schwiegermütter, Tanten, Freunde, Bekannte und Kollegen respektieren.
Grünschnabel: Aber gerade in der ersten Zeit nach der Geburt ist es doch sinnvoll, auch Hilfe von Familie und Freunden anzunehmen.
Susi Schießer: Hilfe ja, zum Beispiel wenn es darum geht, für warme Mahlzeiten zu sorgen etc. Das erste halbe Jahr mit einem Baby ist, wie ich immer sage, „der ganz normale Wahnsinn“, da haben nur die Überlebensnotwendigkeiten Platz: trinken, essen, schlafen und auf’s Klo gehen. Alles andere ist Luxus. Da kann eine Tante oder Großmutter, die eine Riesenportion Vollkornpalatschinken auf Vorrat macht und in Form von Fritatten einfriert, natürlich Goldes Wert sein! Es ist ungemein wichtig, dass junge Mütter von einem System von Menschen unsterstützt werden, es heißt ja nicht umsonst, dass es ein ganzes Dorf braucht, um ein Kind großzuziehen.
Kirsten Commender