Von Eseln mit kaputten Ohren, Kindern, die kein eigenes warmes Bett haben und dem „eigentlich“ im Satz „Wir müssten eigentlich helfen“. Wie soziale Bedürftigkeit Kinder in der Vorweihnachtszeit beschäftigt. Papa-Blogger Wolfgang Nell macht sich Gedanken zum Advent.
„Dem Esel sein Ohr ist noch immer kaputt“, klagen meine Kinder. Unsere Krippenfiguren sind eigentlich nicht schön. Vor allem die Hirten passen mit ihren grimmigen Gesichtszügen so gar nicht ins Krippenensemble um das kleine Kind, inmitten eines inzwischen schon sehr verlotterten Stalles. Jedes Jahr nehme ich mir vor, den Stall, Abbild meiner gut gepflegten und verklärten Kindheitserinnerungen, so richtig schön herzurichten. Natürlich komme ich in der stillsten Zeit im Jahr nicht dazu, auch nur einen Strohhalm auszubessern – oder zumindest dem Esel sein Ohr zu richten. Ich pflege meinen Kindern zu erklären: „Die schönen Krippen gibt es in den Kirchen und in den Schaufenstern der Linzer Innenstadtgeschäfte!“
Voriges Jahr haben wir die kleine Futterkrippe nicht gefunden, die dem kleinen Jesuskind als Bettchen dient. „Hat jedes Kind sein eigenes Bett?“, hat mich mein Jüngster gefragt. „Natürlich“, habe ich meinem vierjährigen Sohn geantwortet. Meine beiden älteren Söhne haben mich gehört und gewusst, dass ich lüge. Ich habe aber bemerkt, dass sie meine Notlüge, ja, so würde ich meine Antwort nennen, stillschweigend akzeptiert haben. Ich bringe es nicht über‘s Herz, meinem Kleinsten die Wahrheit darüber zu sagen, dass viele Kinder ihre Nächte auf dem Boden oder auf einem Pappkarton Nächte verbringen müssen. Solche Vorstellungen lassen einen Schatten über der vorweihnachtlichen Glitzerwelt aufziehen.
Am Abend stellt mein ältester Sohn fest: „Eigentlich haben wir verdammt viel Glück! Dort liegt das Kind in einem windigen Stall und hier liegen wir in einem weichen Bett.“ Die Kinder in unserem Land haben es dennoch nicht leicht. Sie sind inzwischen eine wichtige Zielgruppe für die Maximierung wirtschaftlicher Gewinne im Handel geworden.
Ich weiß, dass im Wollen und Begehren eines Kinder zur Weihnachtszeit keine große Chance liegt, sich als zehnjähriges Kind inmitten aller Werbungsstrategien als Mensch zu sehen, dem es eigentlich an nichts mangelt. Doch gerade in seinem Blick auf unsere Krippe spüre ich seine empathische Verbundenheit zum kleinen Kind im Stall und letztendlich zu sich selbst.
Ohne hier allzu sehr auf eine religiöse Deutung der biblischen Weihnachtsgeschichte einzugehen, vermittelt diese vielleicht meinen Kindern die Rückseite einer sozialen Realität. Eine Wirklichkeit unter uns Menschen, die nicht von überquellenden Regalen in Kaufhäusern abgebildet wird, sondern sich in den Herzen jener Kinder und Erwachsener abspielt, die einfach nichts haben oder nur sehr wenig!
„Ja“, habe ich geantwortet: „Wir haben sehr viel Glück.“
„Dann müssen wir helfen“, meinen meine Kinder.
„Ja“, habe ich geantwortet: „Eigentlich müssten wir helfen!“
Eigentlich…
So eine Antwort kann ich an mir eigentlich nicht akzeptieren. Darum werde ich mit meinen Kindern versuchen, eine gangbare Lösung zu finden, wie wir immer wieder unser Glück mit anderen Kindern teilen können. Das Eigentliche ist ein großer Schritt aus der Konstruktion unserer Bequemlichkeit.
Eigentlich hatten die Hirten als die Außenseiter der Gesellschaft vor zweitausend Jahren in Bethlehem wirklich nichts zu lachen und eigentlich soll kein Kind in einem windigen Stall geboren werden… nirgendwo!
Wolfgang Nell (46), akademischer Entwickler Sozialer Verantwortung, schreibt diesen Blog als Vater von drei Buben. Er kümmert sich zurzeit hauptsächlich um die Kinder im Alter von 5, 8 und 11 Jahren, während seine Frau Vollzeit als Ärztin arbeitet. Für Grünschnabel reflektiert er regelmäßig Erlebnisse aus seiner Familienwelt mit dem Lauf der „großen“ Welt, mit politischen und alltäglichen Geschehnissen.