Was vom Sommer übrig ist – viel Atmosphäre und Mitgefühl

Buchcover: Carlsen Verlag GmbH

„Vergiss das letzte Schuljahr und dass deine Eltern nicht mehr miteinander reden. Und wenn du Lust hast, dann nenn dich anders, gib dir einen anderen Namen, nenn dich nicht mehr Louise, nenn dich nicht Lou, Loulou, Louischen, du kannst eine Indianerin sein, die Häuptlingstochter. Du kannst im Sommern alles sein, was du willst, kannst Fremdsprachen ausprobieren und erfinden. Der Sommer hat tausend und eine Tür. Und die stehen auf Durchzug, weil es heiß ist.“

 

Die Geschichte einer eigenwilligen Freundschaft zwischen der 17-jährigen Louise und der gerade erst 13-jährigen Jana.

Die eine ist vollauf damit beschäftigt, vier Wochen ihres Sommers möglichst zeiteffizient durchzuorganisieren: zwei Jobs, der Führerschein, Hundesitting für die urlaubende Oma. Konkrete Anforderungen des echten Lebens. Mit Elan und Ehrgeiz ist sie in Äußerlichkeiten gefangen, gänzlich davon in Anspruch genommen, möglichst schnell unabhängig zu werden.

Die Aufgaben der Jüngeren sind viel weniger konkret. Sie hat völlig andere Herausforderungen im Dazwischenland zwischen Kind und Jugendlicher zu bewältigen, die nicht durch äußeres Handeln lösbar sind: Nach einem Selbstmordversuch ihres großen Bruders wird sie von ihren Eltern kaum wahrgenommen, zur Trauer kommt die Vernachlässigung. Für beide Mädchen geht es um die Erfüllung von Entwicklungsaufgaben, die das Leben ihnen aufgibt auf dem Weg zum Erwachsenwerden.

Jana heftet sich an Louises Fersen. Die Dreizehnjährige ist der Älteren lästig. Immer wieder versucht sie halbherzig Jana loszuwerden. Doch die zeigt Widerstandskraft und lässt sich nicht so einfach abschütteln. Exakt in dem Moment, als Louises Leben trotz aller Koordinationsgabe und Multitaskingfähigkeit durch das Scheitern bei der theoretischen Führerscheinprüfung aus dem Ruder zu laufen droht, wird sie offen für eine ungewöhnliche Freundschaft mit dem vier Jahre jüngeren Mädchen.

Wie im ersten Buch von Tamara Bach („Busfahrt mit Kuhn“) ist es auch hier ein unerlaubt entwendetes Auto – das der Oma –, welches für 24 Stunden trotz der nichtbestandenen Prüfung einen Ausbruch aus der unerträglich gewordenen Normalität ermöglicht. Wie in „Marsmädchen“, Bachs zweitem Roman, berührt die feinfühlig gezeichnete Mädchenfreundschaft im Ausnahmezustand in besonderer Weise.

Tamara Bach wählt ihre Worte sorgfältig und setzt sie behutsam. Sie kommt mit wenig aus, lässt dem Leser viel Luft. Auf nur 137 Seiten erschafft sie Seelenzustände und Sommerräume, die intensiv nachwirken.

Beinahe lyrisch gestaltet sie die Dialoge, den kurzen Schriftwechsel zwischen den beiden heranwachsenden Mädchen: den schwierigen Prozess heraus aus der Isolation, in die sich Jana aus einem Bedürfnis nach Schutz und Rückzug freiwillig begibt. Louise ist ihr eine einfühlsame Navigatorin auf dem Weg zurück ins Leben. 

 

Tamara Bach: „Was vom Sommer übrig ist“, 13,30 Euro, Carlsen Verlag, Hamburg 2012 ISBN 978-3-551-58242-3