Grundlagen der Suchtprävention
Nikotinsucht, Kaufsucht, Alkoholsucht, Medikamentensucht, Spielsucht, Drogensucht, Ess-Sucht. Das unstillbare und unkontrollierbare Verlangen nach Etwas hat viele Gesichter. Aktuelle Erkenntnisse der Sucht- und Gesundheitsforschung zeigen, dass die Grundlagen für Suchterkrankungen in der Kindheit gelegt werden.
“Suchtprävention findet auf verschiedenen Ebenen statt und beginnt bereits vor der Geburt bzw. Familiengründung, zum Beispiel durch eine gute Paarbeziehung oder entsprechende Unterstützung der werdenden Mütter”, weiß Mag.a Ingrid Rabeder-Fink, Leiterin der Abteilung für Schule, Familie und Kinder vom Institut für Suchtprävention des Landes OÖ.
“Eine gute Paarbeziehung, aber auch das Gefühl, als Elternteil sicher und geborgen zu sein, sind die Basis für eine feinfühlige Eltern-Kind-Interaktion“, so die erfahrene Expertin. “Kinder, die in einer Umgebung aufwachsen, in der ihre angeborenen Grundbedürfnisse nach Nähe, Zuwendung und Geborgenheit befriedigt werden, entwickeln weniger Süchte als andere Kinder. Das hat die Suchtforschung in den vergangenen Jahrzehnten ganz klar gezeigt. Wenn es hier massive Defizite gibt, dann ist das eine der Hauptursachen für Suchtentwicklung.”
Damit eine Paarbeziehung selbst dann noch intakt bleibt, wenn ein Kind dazukommt, sollte man bereits vor der Familiengründung auf das Familienklima und die Beziehungen in der Herkunftsfamilie achten und Familienmitglieder für Unterstützung sensibilisieren.
“Viele Paarbeziehungen geraten während der Umstellung von der Zweier- auf die Dreierbeziehung ins Wanken und werden störanfällig”, weiß Rabeder-Fink. “Deshalb ist es wichtig, rechtzeitig darüber zu reden, was man dagegen tun kann und zu wissen, wo man professionelle Beratung und Unterstützung erhält.”
Ein besonderes Angebot des Institutes für Suchtprävention sind in diesem Zusammenhang die Elternabende “Starke Elternschaft von Anfang an”. Sie werden gemeinsam mit der Gebietskrankenkasse veranstaltet und können über www.praevention.at (Angebote) gebucht werden.
Gefahren und Risiken: Erfahrung sammeln statt vermeiden
Aber auch die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes spielt eine große Rolle bei der Entwicklung von Abhängigkeitserkrankungen. Ein wissenschaftliches Gutachten der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hat gezeigt, dass nicht nur eine gute Eltern-Kind-Interaktion zur Suchtprävention beiträgt. Auch Lebenskompetenzen und persönliche Ressourcen zu fördern sowie die Kinder in ihrer Entwicklung kompetent zu begleiten ist entscheidend. Das bedeutet auch, dass Kinder zum Beispiel nicht davon abgehalten werden sollten, Erfahrungen mit Gefahren und Risiken zu sammeln, sondern dabei unterstützt werden, besser damit zurechtzukommen.
“Ganz wichtig ist vor allem eine neutrale Aufklärung über Ursachen und Wirkungen von Süchten”, sagt Rabeder-Fink. “Bis in die frühen 90er Jahre hat man vor allem über Substanzorientierung und abschreckende, sensationsheischende Erzählungen versucht, Kinder von Suchtmitteln abzuhalten. Doch diese Strategie war nicht sehr erfolgreich. Denn Abschreckung kann auch neugierig machen – vor allem Jugendliche, die auf der Suche nach sehr intensiven Erfahrungen sind. Filme, wie ‘Die Kinder vom Bahnhof-Zoo’ haben leider auch dazu geführt, das vorgezeigte Verhalten nachzuahmen. Menschen, die extreme Erfahrungen machen, aber heil dabei herauskommen, so wie die junge Frau im Film können auch als negative Modelle wirken”, erzählt die Abteilungsleiterin, die sich vor 17 Jahren ganz dem Thema verschrieben hat.
Spielzeugfreier Kindergarten zur Konfliktbewältigung
Weitere wichtige Schutzfaktoren gegen Abhängigkeitserkrankungen sind außerdem die Bildung von Kreativität und eine effiziente Konfliktbewältigung. Das oberösterreichische Institut für Suchtprävention begleitet in diesem Zusammenhang das Kindergartenprojekt “Spielzeugfreier Kindergarten” (in Bayern entwickelt). “Dabei werden die gängigen Kindergartenstrukturen über mehrere Wochen aufgehoben”, so Rabeder-Fink. “Das heißt, die Kinder werden nicht jeden Tag beschäftigt und erhalten nicht ständig Angebote und Spielzeug, sondern werden auf sich selbst zurückgeworfen. Das soll sie dazu anregen, kreativ zu werden und zu lernen, Konflikte zu bewältigen.”
Suchterkrankung nach ICD 10 (Internationale Klassifizierung von Suchterkrankungen)
Wenn drei oder mehr Kriterien während des letzten Jahres gleichzeitig gegeben waren, spricht man von einer Abhängigkeitserkrankung.
- Starker Wunsch oder ein innerer Zwang etwas Bestimmtes zu konsumieren (Graving)
- Verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich des Beginns, der Beendigung und der Menge des Konsums
- Ein körperliches Entzugssyndrom bei Beendigung oder Reduktion des Konsums
- Nachweis einer Toleranz – ein bestimmtes Konsumniveau muss erreicht bzw. gehalten werden (Bsp. Alkoholspiegel)
- Fortschreitende Vernachlässigung anderer Vergnügen oder Interessen zugunsten des Substanzkonsums, erhöhter Zeitaufwand, um die Substanz/das Material zu beschaffen, zu konsumieren oder sich von den Folgen zu erholen
- Anhaltender Substanzkonsum trotz Nachweises eindeutiger schädlicher Folgen
Hinweis: Marihuana hat übrigens kein hohes Suchtpotential. Nur ganz wenige Menschen entwickeln eine Abhängigkeit.
Abhängigkeiten in Österreich 2013
Quellen: siehe FACTSHEET Sucht
Buchtipp
- “Taschenführer zur ICD-10-Klassifikation psychischer Störungen”
Er ist das Diagnosemanual für Mediziner und Psychiater und hilft bei der genauen Diagnose von Suchterkrankungen.
Das Institut Suchtprävention hat außerdem eine umfangreiche Bibliothek, aus der Literatur entlehnt werden kann.
Sabine Blöchl