Wie kann man ein gesundes Selbstgefühl beim Kind fördern und woran erkennt man starke Kinder? „Kinder mit einem gesunden Selbstgefühl können sich gut auf neue Erfahrungen einstellen, sind neugierig, offen, zeigen Gefühle und können auch mit Misserfolgen umgehen“, sagt die Linzer Kinderpsychologin Gabriele Gruber und erklärt, wie Erziehende den Kindern ein gutes Rüstzeug für‘s Leben mitgeben können.
Welche Eigenschaften bringt eine starke Persönlichkeit mit?
Gruber: “Das sind Menschen, die sich um ihre Bedürfnisse kümmern, ihre Gefühle gut ausdrücken können und ein gutes Selbstgefühl haben. Das ist im Vergleich zum Selbstwert die noch tiefer liegende Grundlage. Ein gutes Selbstgefühl erkennt man daran, dass jemand von sich selbst sagt: Ich bin in Ordnung, wertvoll, so wie ich bin. Der Selbstwert oder das Selbstvertrauen hängen stets mit Leistung zusammen: Ich kann gut Lego bauen, bin begabt beim Theaterspielen etc. Ein positives Selbstgefühl ist dagegen unabhängig von Leistung.”
Wie würden Sie ein Kind mit einem gesunden Selbstbewusstsein beschreiben?
Gruber: “Ein starkes Kind kann sich gut auf neue Erfahrungen einstellen, ist neugierig, offen, geht auf andere zu und kommt auch mit Misserfolgen gut klar. Ein starkes Kind ist keineswegs eines, das sich niemals fürchtet, sondern sich dann Schutz und Hilfe suchen kann. Ein ängstliches Kind dagegen traut sich vielleicht gar nicht zu sagen, dass es sich fürchtet.
Das Erfahren von Selbstwirksamkeit ist ebenfalls ein wichtiger Aspekt. Es meint das verinnerlichte Gefühl: Ich kann etwas bewegen, ändern, beeinflussen. Kinder sollen viele Erfahrungen machen. Indem wir sie als Erwachsene dabei begleiten und unterstützen, können wir sie stärken. Im Sinne der Resilienz kann ein Kind mit einem gesunden Selbstgefühl selbst sehr negative Erlebnisse gut verarbeiten, wenn es damit nicht alleine bleibt und in seiner Not gesehen wird.”
Landläufig beobachtet man mitunter zwei Extreme: Da gibt es einerseits die Menschen mit sehr geringem Selbstwert: die Duckmauserl und Mauerblümchen, deren Weltbild oft geprägt ist von Selbstkritik und Selbstzweifeln, die das Gefühl haben „ich kann eh nichts ändern“, sich wenig zutrauen. Auf der anderen Seite gibt es die Menschen mit überhöhtem Selbstwert. Diejenigen, die dominant auftreten, die Selbstdarsteller, Narzissten, Egozentriker…
Gruber: “Erstrebenswert ist die goldene Mitte zwischen den beiden Polen. Denn beide Ausprägungen haben das gleiche Grundproblem: Der innere Halt fehlt. Extrem draufgängerische Kinder haben vielleicht ein gutes Selbstvertrauen, aber nicht unbedingt ein gutes Selbstgefühl. Sie erkennen oft ihre Grenzen nicht, ecken an, sind nicht mit sich und ihren Bedürfnissen in Kontakt. Es gilt für Kinder wie für Erwachsene: Wenn ich meine Bedürfnisse (auch nach Schutz) nicht wahrnehmen kann, weil ich immer stark sein muss, dann sehe ich vermutlich auch die Bedürfnisse von anderen verzerrt.”
Was können Eltern und Lehrer dazu beitragen, dass Kinder ein gesundes Selbstbewusstsein entwickeln?
Gruber: “Ich möchte keine Erziehungstipps geben, weil ich glaube, dass die Haltung, mit der wir den Kindern begegnen, ausschlaggebend ist. Es geht darum, wertschätzend und präsent, einfach beim Kind zu sein. Nicht nur unsere Bedürfnisse zum Beispiel nach einem reibungslosen Alltag, nach einem harmonischen Miteinander, sondern auch die des Kindes zu sehen, ist wichtig. Das Kind will in Kontakt sein, kooperieren, gesehen und gelobt werden. Kinderzeichnungen sind ein gutes Beispiel: Kinder machen Zeichnungen, um uns ihre Welt zu zeigen, um von sich zu erzählen. Sie verstecken sich, um von uns gefunden zu werden, sie ahmen uns nach, um zu verstehen und verstanden zu werden. Unsere Aufgabe als Eltern ist es, das Kind zu sehen, aber nicht nur was es tut, sondern auch was es ist.”
Wie kann man stärken, fördern?
Gruber: “Alles, was ich als Bezugsperson beachte, verstärke ich beim Kind – Positives wie Negatives. Wenn das Kind schön schreibt und die Eltern schenken dem Aufmerksamkeit und Lob, dann wird sich dieses Verhalten verstärken. Andererseits kann man negatives Verhalten durch bloßes Nicht-Hinschauen allein schon abschwächen, sofern es auch positive Zuwendung bekommt. Im Sinne der Modellfunktion hat aber auch unser Verhalten großen Einfluss auf das Kind.”
Was tun, wenn es um Strafen oder Sanktionen geht?
Gruber: “Kinder wollen prinzipiell kooperieren, gefallen, alles gut machen. Tun sie das nicht, dann gibt es einen Grund. Dann stimmt etwas nicht. Das Kind zeigt damit vielleicht, dass in der Beziehung etwas nicht passt. Die Erwachsenen haben dann die Verantwortung, genau hinzuschauen. Natürlich braucht es auch Grenzen, Verbote und ein ‘liebevolles Nein’ in der Erziehung. Man kann beispielsweise so vorgehen: ‘Ich sehe, du bist wütend, weil du das Comicheft jetzt nicht bekommst. Aber ich möchte es dir jetzt nicht kaufen, weil du gestern dein Zimmer nicht aufgeräumt hast. Wenn du in Zukunft dein Zimmer ordentlich hältst, dann bekommst du das Heft.’ Dabei müssen wir aber auch verlässliche Partner sein, dann lernt das Kind. Es kann sein Verhalten selbst bestimmen und sein Verhalten wird Wirkung zeigen.
Das sind in etwa die Schritte, die auch in der Gewaltfreien Kommunikation (GFK) angewendet werden.
Gruber: “Ja, diese kann man gut einsetzen bei Kindern. Gewaltfrei in der Sprache zu bleiben, hält die Verbindung aufrecht und stärkt das Selbstgefühl. Auf Wertungen oder verallgemeinernde Formulierungen wie ‘du bist einfach fürchterlich schlampig’ sollte verzichtet werden.’Ich sehe, du hast…’ eignet sich viel besser, um in Kontakt zu bleiben. Die Verantwortung für Sanktionen liegt beim Erwachsenen, nicht aber die Macht. Deshalb empfiehlt es sich, zu erklären, warum man etwas tut. Es ist gut, dem Kind einen Spielraum zu lassen. Belohnung an ein bestimmtes Verhalten zu knüpfen, kann zur Verhaltensänderung beitragen. Dies vermittelt auch ein Gefühl von Selbstwirksamkeit.
Dies ist besonders wichtig, wenn das Kind bereits ein negatives Selbstbild (‘Das kann ich eh nicht, ich bin der Störefried,…’) aufgebaut hat. Hier kann es hilfreich sein, sich Unterstützung zu holen, da es oftmals schwer ist, aus der negativen (Selbst-)Kommunikation auszusteigen und den Teufelkreis zu durchbrechen.”
Wie umgehen mit Lob und Tadel? Kann man zu viel loben?
Gruber: “Am besten verstärkt man gewünschtes Verhalten durch Beachtung und Aufmerksamkeit. Werden Kinder für jede Kleinigkeit, die sie machen, über die Maßen gelobt, kommt es zu einem überhöhten Selbstbewusstsein. Wenn jedes Bauwerk zum Kunstwerk hochstilisiert wird, dann stimmt das innere Erleben des Kindes (es hat sich nicht wirklich angestrengt) nicht mit dem äußeren Ergebnis überein (wird aber enthusiastisch dafür gelobt). Richtig ist es, Lob und Aufmerksamkeit dem Bemühen und der Intention des Kindes und nicht nur der Leistung anzupassen.
Zum Beispiel: Ein Kind verbringt Stunden damit, eine besondere Zeichnung anzufertigen. Es liegt ihm offensichtlich viel daran und zeigt sie schließlich stolz der Mutter. Diese kann dies so kommentieren: ‘Du hast dich sehr angestrengt für die Zeichnung, du bist stolz darauf, ich finde sie auch sehr schön.’ Kritzelt das Kind dagegen hastig etwas hin, könnte die Mutter sagen: ‘Das Bild hast du jetzt schnell hingezeichnet.’ Die Mutter sagt, was sie sieht, ohne es zu bewerten.
Mag. Gabriele Gruber ist klinische und Gesundheitspsychologin, sowie Kinder-, Jugend- und Familienpsychologin in der Gemeinschaftspraxis rundherum in Linz, wo sie auch klientenzentrierte Spieltherapie anbietet.
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