Bild: Portrait Werner Zechmeister

Elterncoach Werner Zechmeister

Deine Tochter wohnt in einer Räuberhöhle? Du weißt nicht, wieviel Ordnung du von deinem Sohn verlangen kannst? Es gibt immer wieder Streit? Elterncoach Werner Zechmeister, Vater von zwei Stieftöchtern und zwei Enkelsöhnen, weiß, wieviel Unordnung Kinder brauchen und vertragen können, um sich gut zu entwickeln.

 

Grünschnabel: Ordnung bedeutet Struktur. Was bedeutet das für die kindliche Entwicklung?

Kinder brauchen eine bestimmte Ordnung. Sie brauchen eine Tagesordnung, sie reagieren auf diese Ordnung und es gibt unerlässliche Rituale. Zum Beispiel das Ritual beim Schlafengehen: Das Kind ist beruhigt durch die bloße Tatsache, dass ein Abend-Ritual existiert, gleichgültig, ob es ein Lied ist, ein Schaukeln, ein Betthupferl oder ein Gutenachtkuss.

Strukturen bedeuten Sicherheit und geben Halt. Wenn Kinder keine Strukturen kennen, sind sie sehr unsicher und fangen an, welche zu suchen. Sie probieren aus, wie weit sie gehen dürfen, um zu spüren, wo sie sich befinden. Wir Eltern müssen deshalb eine klare und persönliche Struktur zeigen und vorleben. Wenn Kinder einen festen Halt spüren (das heißt nicht erleiden), lernen sie, sich zu orientieren. Das Spüren von Festigkeit schafft Grenzen.

Bild: Rainer Sturm_pixelio.de

Wenn die Familie zusammenkommt Bild: Rainer Sturm_pixelio.de

Zum Beispiel zeigt ein gemeinsames Mittag- oder Abendessen zu bestimmten Zeiten dem Kind: Alle sind da, egal welcher Beschäftigung sie vorher nachgehen. Alle sitzen bei Tisch und es wird erst aufgestanden, wenn alle fertig sind. Bei Tisch gibt es kein Handy usw.

Aber diese Dinge müssen von den Eltern vorgelebt werden. Nur von den Kindern dies zu verlangen, wird nicht funktionieren.

Grünschnabel: Wieviel Unordnung brauchen Kinder?

Kinder haben keine Unordnung, sie haben ihre eigene Ordnung, und zwar aus der Sicht des Kindes. Wir Eltern glauben, dass die Kinder unsere erwachsene Sichtweise haben müssen. Das geht nicht, Kinder sind keine kleine Erwachsene, sondern Kinder. Somit haben sie ihre kindliche Sichtweise.

Für kleinere Kinder ist beispielsweise wichtig beim Zubettgehen, dass der Teddy und das Pferd ihren festen Platz haben und die Puppe genau dort schlafen muss. Das ist eine eigene Ordnung und sollte von uns nicht belächelt, sondern ernst genommen werden.

Im Kinderzimmer haben sie ihre kindliche Sichtweise, auch wenn es für uns Erwachsen wie Unordnung aussieht. Wieviel Unordnung zu tolerieren ist, hängt natürlich auch vom Alter des Kindes ab.

Grünschnabel: Wie streng sollen Eltern sein, wenn es um´s Kinderzimmer geht?

Ordnung im Kinderzimmer ist ein Thema, das wohl alle Eltern „durchmachen“. Auch hier glauben wir, dass Ordnung nach unserer Sichtweise herrschen muss.

Bild: Kirschen in einer Reihe

Alles schön ordentlich Bild:w.r.wagner_pixelio.de

Bei kleineren Kindern ist unser Vorbild noch sehr gefragt, wenn wir gemeinsam aufräumen. Kleinere Kinder können und wollen schon sehr bald mithelfen.

Für die Kleinen gilt: tun lassen und anleiten, das Zusammenräumen spielerisch gestalten. Aber auch darauf bestehen, dass es gemeinsam gemacht wird.

Schwieriger ist es bei Jugendlichen. Hier sehen die Jugendzimmer oft wie Räuberhöhlen aus. Die Fenster werden gerne verdunkelt und alles liegt kreuz und quer herum. Hier fühlen sie sich wohl und können sich zurückziehen. Das ist in Ordnung. Darüber zu klagen und mit den Jugendlichen zu schimpfen, bringt oft nicht viel.

Hier hilft es, mit den Jugendlichen Vereinbarungen zu treffen. An bestimmten Tagen, z.B. Freitag um 18 Uhr ist das Zimmer aufgeräumt und geputzt. Wenn nicht, muss es eine Konsequenz (die vorher vereinbart wurde) geben.

Wenn ich eine bestimmte Vorstellung habe, wie das Zimmer zu diesem Termin auszusehen hat, muss ich es vorher sagen. Alles was vereinbart wurde, soll auch erfüllt werden.  

Wenn sich mein Kind bemüht hat und sein Zimmer ungefähr nach meinen Vorstellungen zusammengeräumt und geputzt hat, gibt es kein Tadeln mehr. Jugendliche haben andere Sichtweisen. Beim nächsten Mal bespreche ich mit meinem Sohn oder meiner Tochter, was ich noch möchte.

Grünschnabel: Welche Bedeutung haben Dinge wie Pünktlichkeit, Tagesablauf für Kinder?

Die Bedeutung der Pünktlichkeit spielt schon für das Baby eine große Rolle. Wenn ein Bedürfnis wie Hunger oder Durst oder gewickelt zu werden auftaucht, hat es nur die Möglichkeit zu weinen oder wimmern. Hier spielt der zeitliche Ablauf für das Baby schon eine große Rolle, weil es ein Zeitgefühl entwickelt, in welchen Zeitraum die Bedürfnisse befriedigt werden und lernt diesen Zeitabstand zu tolerieren.

Bild: Maßband und Büroklammern

Bild: M. Großmann_pixelio.de

Ist die Mutter aber gerade beschäftigt, weil sie vielleicht kocht, und der Zeitabstand vergrößert sich, entsteht Beunruhigung, die in Panik übergehen kann. Der Zeitabstand ist für das Kind nicht mehr kalkulierbar und daher auch nicht zu tolerieren.

Kinder verlangen nach Berechenbarkeit und in dieser frühen Phase steht die Erfüllung der Grundbedürfnisse im Vordergrund. Nur die Regelmäßigkeit der Abläufe vermittelt ihm ein Gefühl der Sicherheit.

In späteren Phasen tritt oft unsere eigene Pünktlichkeit in den Vordergrund. Wir wollen, dass die Kinder rechtzeitig angezogen sind, gewaschen sind, gefrühstückt haben und fertig für den Schulbus sind. Oder wir haben Termine und wir wollen, dass auch unsere Kinder fertig sind. Diese Pünktlichkeit ist ihnen egal, weil sie spüren, dass uns das wichtig ist – und nicht sie uns wichtig sind.

Tagesabläufe und Tagesstrukturen lernen Kinder wieder am besten, wenn wir es ihnen vorleben.

Grünschnabel: Können Eltern in Sachen Ordnung vielleicht auch von ihren Kindern etwas lernen?

Vor allem können wir Gelassenheit und Freude von unseren Kindern lernen. Manche Dinge sind nicht so wichtig, wie wir glauben. Kinder leben im Hier und Jetzt. Lieber sollte man den Augenblick genießen. Kinder lachen sehr viel und oft (ca. 400 mal am Tag), da sollten wir uns ein Beispiel nehmen (Erwachsene ca. 15 mal am Tag).

Welche praktischen Tipps gibt es für überforderte Eltern?

Wir haben oft den Anspruch, gerade bei der Erziehung, perfekt sein zu müssen. Das stresst und überfordert uns.

Dann kommt noch dazu, dass eine Menge Klischees im Umlauf sind, wie z.B. dass man mit kleinen Kindern keine Zeit für sich selbst hat, man warten müsse, bis sie älter sind, bevor man ausspannen kann, oder der Partner/die Partnerin sich gedulden müsse,  weil die Kinder Vorrang hätten.

Nichts davon ist wahr – Eltern-Sein soll Spaß machen!

Überforderung kommt von den eigenen großen Anforderungen, die die Mutter oder der Vater an sich selbst stellt. „Das muss ich noch tun, dies muss ich noch tun, alles hängt an mir.“ Viele vergessen, sich Auszeit zu nehmen.

Tatsächlich haben Sie nur drei einfache Pflichten als Eltern, und zwar in der nachfolgenden Reihenfolge:

  1. für sich selbst zu sorgen
  2. für Ihre Partnerschaft zu sorgen
  3. für Ihre Kinder zu sorgen

Noch immer ist die Meinung weit verbreitet, dass man als Eltern große Opfer bringen muss.

Dieselben Eltern, die ihre Aufgabe darin gesehen haben, sich zu opfern, hört man im mittleren und hohen Alter sagen “Nach allem, was ich für dich getan habe – (und “Wir haben dir die besten Jahre unseres Lebens gegeben.”). Sie versuchen, mit Schuldgefühlen eine Rechnung einzutreiben, die sie selbst aufgemacht haben.

Tipp:

Ich kann den Eltern nur empfehlen:

  • Mut zu Fehlern und Mut zur Unvollkommenheit! Kleine Fehler verzeihen Kinder.
  • Wenn ich etwas gemacht habe, bei dem ich das Gefühl habe, mein Kind hat damit ein Problem, hindert mich nichts daran, mich bei meinem Kind zu entschuldigen.
  • Kinder wollen keine perfekten Eltern, sondern menschliche Eltern.
  • Wer den Ehrgeiz hat, fehlerlos zu erziehen, macht schon den ersten großen Fehler.
  • Manche Dinge nicht so eng sehen.
  • Überlegen, ob es sich auszahlt, über dieses oder jenes zu schimpfen oder sich überhaupt damit zu befassen.
  • Sich hin und wieder Auszeit zu nehmen, um die eigene Batterie wieder aufzuladen.

 

Info
Werner Zechmeister ist Sozialpädagoge, Elternbildner, Elterncoach, Dipl. Lebensberater, Dipl. NLP Coach, Supervision, Dipl. Trainer für Erwachsenenbildung, Dipl. Hypnosetrainer und macht Systemische Familienaufstellungen

Kontakt: Tel.: 0676- 780 3264
E-Mail: werner.zechmeister@aon.at

 

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Isabel Höglinger