Foto: Fotolia/Altanaka

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Wann hört die Allmacht der Erziehung auf und fängt körperliche Integrität eines Kindes an? Dieser Frage widmet sich Katharina Maderthaner von der Elternwerkstatt.

Ein Vater fährt mit seinem Sohn in der Straßenbahn. Der Sohn ist etwa neun Jahre alt und sitzt, der Vater steht neben ihm. Wiederholt streicht der Vater ihm über den Kopf und sagt dabei: „Du bist mein Sohn. Ich bin der Vater – ich darf das.“ Würde ich meiner besten Freundin immer wieder ins Gesicht zu greifen, obwohl sie das nicht möchte? Wie fühlt es sich an, wenn mir jemand im Gespräch zu nahe kommt?

Wie wir Nähe wahrnehmen
Allan und Barbara Pease beschreiben Abstandszonen, die uns wie ein unsichtbarer Radius umgeben: Unsere „Intimzone“ reicht 15 bis 46 cm über unseren Körper hinaus. Nur emotional naheste-hende Personen sind uns hier willkommen. Und auch die nicht immer.

Kommt uns ein Unbekannter so nahe, reagiert der Körper mit Stress. Die „persönliche Zone“ liegt bei 46 cm bis 1,2 m, diesen Abstand halten z.B. Arbeitskollegen ein. Danach kommen eine „gesellschaftliche“ (1,2 bis 3,6 m) und eine „öffentliche Zone“ (ab 3,6 m). Die Wohlfühlzone im Kontakt mit anderen kann individuell sein: Während einer gerne Nähe sucht, ist es dem anderen schon viel zu nahe. Bestimmt gibt es auch kulturelle Unterschiede. Eines ist jedoch allen Menschen gemeinsam: Kommt uns jemand ungewollt nahe, stresst das.

Das Körpergefühl des Kindes respektieren
Unter Erwachsenen beachten wir diese Grenzen intuitiv. Tun wir das auch im Umgang mit Kindern? Wie ist das mit der Tante, die dem zappelnden Kind trotzdem ein Bussi auf die Wange drückt? Der Mama, die dem verweigernden Nachwuchs fast mit Gewalt die Zähne putzt? Dem Papa, der das neugierige Baby von der Küchenlade wegträgt, weil er im Wohnzimmer lesen möchte?

Je jünger ein Kind ist, desto mehr ist es körperlich und seelisch von uns abhängig. Es braucht uns, um seine Bedürfnisse nach Nahrung, Sauberkeit und Nähe zu stillen. Menschen sind körperliche Wesen: Wir erfahren unsere Umwelt über unseren Körper. Pflegen Eltern ihr Baby liebevoll und achtsam, spürt es die Liebe der Eltern und fühlt sich angenommen. Wird es grob angefasst, fühlt es sich abgelehnt. Bei älteren Kindern sind solche Situationen etwa Anziehen, die Unterstützung bei der Körperpflege, Spielen und Kuscheln.

Hier ein paar Tipps für den Alltag:
•    Mag dein Kind viel körperliche Nähe oder eher nicht?
•    Bemühe dich, ganz „da“ zu sein, wenn du dein Baby oder Kind versorgst. Bist du mit deiner Aufmerksamkeit ihm zugewandt, spürt es dich besser.
•    Bereite dein Kind darauf vor, dass du es berühren wirst. Zum Beispiel: „Ich setze dir jetzt deine Haube auf.“ Lasse eine kurze Pause, denn kleine Kinder haben eine längere Reaktionszeit. Bei einem Neugeborenen liegt diese bei ca. 7 Sekunden.
•    Erkläre deinem Kind in kurzen, klaren Sätzen, was du machst: „Ich heb‘ dich jetzt hoch. Wir gehen ins Wohnzimmer.“
•    Frage dein Kind um Erlaubnis, biete ihm Mitsprache an: „Ich möchte dir die Haare waschen, passt das?“ Oder: „Du kannst selbst Zähne putzen und dann möchte ich sie noch putzen. Wer soll anfangen? Wo magst du beginnen?“
•    Ist das Kind noch nicht bereit, gib einen Zeitrahmen vor, in dem es zum Beispiel noch fertig spielen kann und dann zum Anziehen kommt. Sucht gemeinsam nach kreativen Lösungen.
•    Mag dein Kind eine Berührung nicht, wird es sich wehren, beschweren oder weigern. Respektiere diese Grenze, indem du etwa beim Anziehen pausierst oder akzeptierst, dass es jetzt keine Lust zum Kuscheln hat. So zeigst du ihm, dass du es ernst nimmst, es seine Grenzen zeigen darf. Das ist auch ein Baustein in der Missbrauchsprävention.

Für mehr Freude im Leben mit Kindern!

Katharina Maderthaner, MSc (Counseling)
www.elternwerkstatt.at