Jungen brauchen Männer zum Erwachsen-Werden. Männliche Vorbilder sind für sie Modelle, an denen sie ihr eigenes Männlichkeits-Bild konstruieren und festigen können. Väter haben damit eine gewichtige Rolle. Doch auch, wenn der Vater „abwesend“ ist, können Jungen in ihrem Umfeld ein Bild davon bekommen, was es bedeutet, ein Mann zu sein.
Nicht immer gibt es eine prominente Vaterfigur im Leben eines Kindes. Wenn die Eltern getrennt bzw. die Familien zerrüttet sind oder der Vater einfach nur im Job völlig eingespannt ist, haben die Kinder weniger Möglichkeiten zu erleben, wie Männlichkeit gelebt werden kann. Jedoch ist gerade in einem schwierigen Umfeld Sicherheit und Halt gefragt – nicht nur von der mütterlichen Seite aus. Glücklicherweise muss es nicht immer der Vater sein, der die richtige Saite zum Klingen bringt. Männliche Vorbilder können auf unterschiedlichste Art und Weise ins Leben der Kinder treten.
Gefühle ausdrücken um resilient zu sein
Die Kauai-Studie untersuchte Kinder aus schwierigen Lebensverhältnissen. Durchwegs hatten sie eine geringere Wahrscheinlichkeit, sich von ihrem Umfeld zu lösen und ein „erfolgreiches“ Leben zu führen. Ein Drittel der Kinder zeigte sich jedoch als resilient: Trotz eines schwierigen Starts ins Leben hatten sie einen Job, rutschten nicht in die Kriminalität ab und waren nicht auf Sozialhilfe angewiesen. Als man sich das Umfeld der Kinder ansah, zeigte sich eines: Bei ihnen allen war irgendwann ein Mensch in ihr Leben getreten, der zur engeren Bezugsperson wurde und ihnen Stabilität vermittelte. Noch spannender: Resiliente Jungen hatten eine männliche Bezugsperson, die sie dazu ermunterte, ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Resiliente Mädchen hatten hingegen eine weibliche Bezugsperson, die sie zu Unabhängigkeit ermunterte, sie jedoch gleichzeitig Wissen ließ, dass sie bei Bedarf immer Hilfe bekommen würden.
Vorbilder und Bezugspersonen lassen sich an vielen Orten finden – im Sportverein, bei den Pfadfindern oder auch als Pädagogen in der Schule. Auf manche hat man Einfluss, auf andere jedoch nicht. Oft ist es schon schwer genug, überhaupt Männer zu finden, die in der Kindererziehung präsent sind. Erlebt das eigene Kind im Fußballverein einen Trainer, der ein archaisches Männerbild verkörpert, hierarchisch den Ton angibt und Gefühle im Training nicht zulässt, so wird dabei auch ein Männerbild vermittelt. Erlebt das Kind hingegen viele verschiedene Männerbilder, so kann es auswählen, an welchem es sich orientieren möchte. Das kann ein Pfadi-Gruppenleiter sein, der die Stunde gemeinsam mit einer weiteren Leiterin gestaltet und anhand welchem ein Kind nicht nur sieht, wie Männlichkeit sein kann, sondern auch, wie Männlichkeit im Einklang mit Weiblichkeit funktionieren kann: wie die Geschlechter miteinander umgehen und dass nicht unbedingt nach einer Pfeife getanzt werden muss, sondern man auch harmonisch miteinander ein Lied anstimmen kann. Oder selbiges in der Jungschar oder in einem Sportverein, in dem Trainer beiden Geschlechts Verantwortung übernehmen.
Einen überlegten Blick aufs Umfeld zu werfen ist daher unumgänglich – und kommt den Kindern mehrfach zugute. Denn mehr als die Aktivität an sich ist Kindern wichtig, wie bei dieser Aktivität Beziehung gelebt ist und miteinander umgegangen wird. Hier findet soziales Lernen statt.