Foto: Fotolia/StockPhotoPro

Foto: Fotolia/StockPhotoPro

Über die unterschiedlichen Rollen von Vätern beim Erwachsenwerden spricht Peter Maier, Gymnasiallehrer, Jugend-Initiations-Mentor und Autor im Grünschnabel-Interview.

Welche Rolle nehmen Väter beim Erwachsen-Werden von Burschen ein?
Väter sind natürlich sehr wichtig für das Erwachsen-Werden von Buben. Denn sie sind für ihre Söhne, für die „werdenden Männer“, in jedem Fall Vorbild, Reibungsfläche, Orientierung. Auch wenn sie gerade mit ihren Vätern im Konflikt stehen oder diese kein gutes Bild abgeben, dann haben die Väter für den Initiations-Prozess ihrer Söhne trotzdem eine große Bedeutung. Denn dann fühlen sich die Jungen womöglich herausgefordert, alles dafür zu tun, um eben besser als ihre Väter zu werden.

Dennoch sollte man auch folgende Tatsache beachten: Initiation, also der Prozess des Erwachsen-Werdens, heißt ja für Jugendliche gerade, sich von den Eltern abzugrenzen und abzulösen, ein eigenes Leben zu entwickeln – mit eigener Musik, eigenem Freundeskreis und eigenem Wertesystem.

Daher eignen sich Väter gerade nicht, den Initiations-Prozess für ihre Söhne zu organisieren, zu steuern oder gar zu gestalten. Jungen brauchen vielmehr andere (erwachsene) Männer, die ihnen dabei helfen, auf eigene Füße zu kommen und sich neu zu orientieren – etwa der Tauf- oder Firmpate, meist ein Onkel; oder auch ein Gruppenleiter im Sportverein, ein Lehrer, zu dem ein sehr enges Verhältnis besteht usw.

Mit Vätern klappt der Initiations-Prozess auch deswegen in der Regel nicht, weil die Verwicklungen zwischen Vater und Sohn oft zu groß sind. Buben fühlen sich an der Schwelle zu einem eigenen Leben schnell von ihren Vätern bevormundet, auch wenn diese nur das Beste für ihre Söhne wollen. Der Initiations-Prozess ist dann unnötig blockiert.

Welche Rolle können Väter beim Erwachsenwerden von Mädchen einnehmen – gibt es da große Unterschiede?
Ja, denn nicht selten rivalisieren Väter und Söhne in der Familie miteinander: Der Sohn kämpft um Anerkennung als „neuer jungen Mann“, bisweilen fühlen sich auch Väter durch die ungestüme jugendliche Kraft ihrer Söhne herausgefordert. Statt den Sohn bei seinem Erwachsenwerden zu unterstützen, will der Vater auch weiterhin der „bessere“ Mann bei Mutter und Töchtern bleiben. Solch eine Rivalität besteht in der Regel gegenüber den Töchtern nicht (dafür vielleicht aber zwischen Müttern und Töchtern).

Ich glaube, die Anerkennung, Wertschätzung, Bestätigung und das „Sehen“ der Tochter als junge Frau durch den Vater ist für diese sehr entscheidend. Denn dies gibt ihr langfristig Sicherheit durch den „Ur-Mann“ Vater bei ihrer späteren Suche nach einem eigenen (männlichen) Partner.

Welche Rolle können andere Männer beim Erwachsenwerden von Burschen einnehmen, wenn kein Vater greifbar ist?
Andere Männer sind ohnehin beim Prozess des Erwachsenwerdens für Burschen entscheidend – nicht nur dann, wenn wie bei getrennten Eltern, manchmal überhaupt kein Vater greifbar ist. Wegen der Verwicklung mit dem eigenen Vater, dessen Agieren in der Pubertät bisweilen als Bevormundung oder gar Unterdrückung empfunden wird, wäre es für Buben wichtig, neben dem Vater noch zumindest einen anderen erwachsenen (reifen) Mann als Mentor zu haben.

Solch ein „Initiations-Mentor“ kann eigentlich jeder Mann für einen anderen Buben sein, wenn er den Jugendlichen in seinem So-Sein annimmt, ihn von dort abholt, wo er gerade ist, für ihn viel Verständnis und Liebe mitbringt, ihm aber auch deutlich Grenzen aufzeigt und ihn in seine Schranken weist, wenn sich ein Junge bei seiner Suche nach sich selbst oder in seinem jugendlichen Übermut verrannt hat.

Es wäre toll, wenn Männer auch mit Jungen, die nicht ihre eigenen Söhne sind, etwas gemeinsam unternehmen würden – zum Beispiel einige Tage Bergwandern, einen Ausflug in die Großstadt, eine längere Fahrradtour… Natürlich könnte es für Söhne auch ein schönes Erlebnis sein, wenn sich ihre Väter nur für sie Zeit nehmen und etwas gemeinsam mit ihnen unternehmen – eben nur unter Männern.

Als großer Segen hat sich auch das Übergangsritual des „WalkAway“ herausgestellt. Von 2008 bis 2015 habe ich dieses viertägige Initiationsritual alljährlich mit Mädchen und Jungen durchgeführt. 73 Jugendliche haben insgesamt daran teilgenommen, die große Mehrheit von ihnen waren stets Jungen. Die Eltern durften dabei erst am letzten Tag anwesend sein. Die Väter haben am Ende dieses Naturrituals meist völlig andere, reifere Burschen zurückbekommen als die, die sie uns vier Tage zuvor übergeben hatten.

Aus den Walk-Away-Erfahrungen heraus, wie reagieren Väter auf die Erlebnisse ihrer Kinder allein im Wald im Unterschied zu Müttern?
Zunächst muss kurz erklärt werden, was ein WalkAway überhaupt ist: Er ist ein viertägiges Übergangsritual mit drei Teilen. Die ersten zwei Tagen werden die Jugendlichen mit Naturaufgaben jeweils für einige Stunden allein in den Wald geschickt. Am Morgen des dritten Tages brechen dann alle zu ihrer 24-stündigen Solozeit auf. Sie verzichten auf jedes Essen, auf ein Zelt, auf jeden Kontakt zu anderen Menschen und auf Smartphone und Handy. Sie gelten in dieser Zeit als komplett unsichtbar. Mit dabei haben sie nur einen Schlafsack, eine Matte, genügend Wasser, einen Rucksack, ein Tagebuch und eine Schutzplane gegen Regen.

Wenn sie dann am Morgen des vierten Tages von ihrer Auszeit allein in der Wildnis zurückkehren, warten schon die aufgeregten Eltern vor dem Wald. Im nahegelegenen Seminarzentrum erzählt dann jeder Jugendlichen vor versammelter Runde von seinen Erlebnissen allein da draußen im Wald, vor allen von der Nacht.

Offensichtlich haben die Mütter während der Solozeit ihrer Söhne und Töchter manchmal mehr Ängste ausgestanden als die Jugendlichen selbst. Bei allen Kursen haben immer wieder Mütter vor Ergriffenheit und Erleichterung geweint, als sie ihre – meist sehr veränderten – Kinder wieder gesehen haben.

Woran könnte das liegen?
Vielleicht daran, dass den Eltern bei diesem dritten Teil des Rituals, der Rückkehr und Wiedereingliederung des Jugendlichen in die Familie intensiv bewusst wird, dass jetzt gerade und mit ihrer ausdrücklichen Zustimmung ihre Söhne und Töchter dabei sind, sich ein wesentliches Stück von ihrer Kinderrolle abzulösen. Vielleicht empfinden Mütter, die ihre Kinder ja im Mutterleib ausgetragen haben, diese zweite Ablösung ihrer Kinder als endgültiges Durchschneiden der psychischen Nabelschnur noch intensiver als die Väter.

cover1Buchtipps:
“Schule – Quo Vadis? Plädoyer für eine Pädagogik des Herzens“.
ISBN: 978-3-95645-659-6  (20,99 €, Epubli Berlin)

„Initiation – Erwachsenwerden in einer unreifen Gesellschaft. Band I: Übergangsrituale“
ISBN: 978-3-86991-406-6 (18,99 €, Epubli Berlin)

Initiation – Erwachsenwerden in einer unreifen Gesellschaft. Band II: Heldenreisen“
ISBN: 978-3-86991-409-1 (19,99 €, Epubli Berlin)

www.initiation-erwachsenwerden.de

Maria Zamut