Familienradeln an der Ostsee

Urwüchsig. Romantisch. Abwechslungsreich. Die Halbinsel Fischland-Darß-Zingst ist nicht nur eine ideale Urlaubsregion für Ruhesuchende, Wassersportbegeisterte und Naturliebende sondern auch für Familien.

Nichts als kilometerweite weiße Sandstrände so weit das Auge reicht. Keine Strandmusik, motorisierten Fahrzeuge oder verbauten Strandpromenaden. Nichts, was an Zivilisation erinnert. Nur das Rauschen der Ostsee und der Wind, der uns um die Ohren weht.

Mein Blick streift über die weitläufige fast menschenleere Bucht von Dierhagen hinauf bis zum Weststrand, dem westlichsten Teil der Halbinsel Fischland-Darß-Zingst.

Eingebettet in die Vorpommersche Boddenlandschaft, westlich von Rügen, bildet “Deutschlands schönste Halbinsel” wie auf der Kurkarte steht – mit rund 60 km feinem Sandstrand und 786 km² Fläche den größten Nationalpark an der deutschen Ostsee.

Ich atme tief ein und fühle mich sofort wohl hier. Jetzt verstehe ich, warum viele diesen Küstenabschnitt “die Karibik des Nordens” nennen.

 

All-Inclusive-Radeln am Meer

Hiergekommen bin ich mit meinem Sohn und meinem Mann aus Warnemünde. Genauer gesagt mit zwei Fahrrädern und einem Fahrradanhänger. Die robusten Kalkhoff und Kettler-Räder haben wir über eine 8-tägige Familienradtour bei einem Fahrradreiseveranstalter gebucht.

Während mein Mann und ich noch immer über die traumhafte Küste staunen, schläft unser Sohn tief und fest. Er ist während der Fahrt im Anhänger eingeschlafen. Wir nutzen die Gelegenheit und schieben Nikis “Strandkutsche” über die Düne zum Meer hinunter. Dann ziehen wir uns aus und laufen – ganz nach DDR-Tradition – nackt ins Wasser.

Das Ufer ist flach. Die Wellen rollen kaum einen halben Meter hoch. Wir umarmen uns, freun uns wie Gestrandete. Was für ein fantastischer Flecken Erde. Nicht nur der Strand, auch das Wasser ist erstaunlich sauber. Seit unserer Ankunft in Warnemünde habe ich noch an keinem Strandabschnitt Abfälle oder angespülten Müll gefunden. Viele Strandabschnitte führen sogar die blaue Flagge, das höchste Wassergütesiegel für nachhaltigen Tourismus. Damit ist die Region einsamer Spitzenreiter in ganz Deutschland.

 

Seemannsfeeling auf Deutschlands Neusiedlersee

Gerne wären wir noch länger hiergeblieben. Doch wir haben Angst, dass uns die Zeit davonläuft. Wir beenden unser Seebad und radeln weiter zu unserer zweiten Übernachtungsstätte in Wustrow, direkt am Fischerhafen des Saaler Boddens. Das ist das andere Ufer der Halbinsel Fischland-Darß-Zingst mit Schilfgürteln und einem riesigen See, der nicht nur aussieht wie der Neusiedlersee, sondern auch fast so groß ist.

Genau genommen ist dieses Binnenmeer aber eine salzige Lagune (Deutschlands zweitgrößte übrigens mit zwischen 1 und 3 Promille Salzgehalt), die an der engsten Stelle nur einige hundert Meter von der Ostsee entfernt ist. 

Neidische Bewohner von Fischland haben die schmalen Zwischenräume im Mittelalter verlandet, um ihren Nachbarn im Osten den Seeweg abzuschneiden. Bis dahin war die Halbinsel in mehrere Inseln zerteilt.

Im Hotel erfahren wir, dass morgen die jährliche Zeesbootregatta stattfindet. Samt Hafenfest und traditioneller Seemannsmusik. Das lassen wir uns natürlich nicht entgehen. Nach einem ausgiebigen Frühstücksbuffet, an dem es sogar Heringssalat gibt, spazieren wir am nächsten Morgen gleich zum Hafen hinunter.

Hier werben zwei Einheimische für eine Bootsfahrt mit einem traditionellen Zeesboot. (Zeese ist das Fischländer Wort für Netz). Als leidenschaftliche Seglerin will ich mir das natürlich nicht entgehen lassen. Doch leider muss ich dieses Mal auf meine Männer verzichten. Niki will nicht mitsegeln. Eine wilde Fahrt aus dem Vorjahr sitzt ihm noch fest in den Knochen.

Während sich mein Sohn und mein Mann am Hafenfest umsehen, segle ich mit den beiden Bootsführern Jens und Gottfried hinaus auf die 197 km2 große Lagune. Mit dabei auf dem 21 Meter langen und 8 Tonnen schweren Zeesboot “Bill” sind noch acht anderen Segeltouristen.

“Leinen los, die Leinen los, Kapitän. Wir wollen auf der großen Welt, noch viele Häfen sehen”, klingt es von der Hafenbühne in Wustrow herunter. Der Shantychor “Fischlänner Seelüd” stimmt ein Seemannslied an. Jens packt eine Schnapsflasche aus, um dem germanischen Wettergott Donar (Thor) nach alter Seemannsart ein Opfer zu bringen. Während er ein paar Tropfen in das flache Küstengewässer leert, murmelt er “Lieber nich’ zu viel”, zieht die Flasche zurück und nimmt einen kräftigen Schluck. Dann reicht er den Schnaps an die Segeltouristen weiter und beginnt zu erzählen. Über das spezielle Netzboot, die Fischerei, das Verbot zu DDR-Zeiten damit an die Ostsee zu fahren (wegen Fluchtgefahr) und die spezielle Art des Fischfangs hier. Die braune Färbung der Segel stammt übrigens von der Imprägnierung mit Talg, Rinden und Lehm. 

Ich frage, welchen Fisch man bestellen soll, wenn man sicher sein will, dass er aus der Gegend kommt. Gottfried überlegt und antwortet: “Bei Dorsch kann man nix falsch machen. Der stammt meist von hier. Zander und andere Fische werden häufig von Zuchten zugekauft.”

 

Als ich 1 ½ Stunden später zurückkomme finde ich Niki und Manfred am Spielplatz gleich neben dem “Kapitänshaus“. Ein ausgezeichnetes und preiswertes Restaurant übrigens, in dem man auch selbst geräucherten Fisch essen kann.

Die liebevoll gestalteten Spielplätze, auf die wir während unserer Reise immer wieder stoßen, haben Niki ganz den Kopf verdreht. Jeder hat seine eigene Handschrift. Hier in Wustrow sind es hüfthohe Holzfiguren und Objekte mit Meeresmotiven (Leuchtturm, Taucherin), die die Kinder besteigen und waagrecht verdrehen können.

Die zwölf Männer des Shantychors aus der nahe gelegenen Bernsteinstadt Ribnitz-Damgarten singen immer noch. Über das Seemannsglück, eine glückliche Wiederkehr, die Wellen und das Leben auf dem Meer.

 

Souvenirs der Eiszeit

Trotz der vielen Freizeitangebote und Veranstaltungen, die es hier für Familien gibt, gehen wir am vierten Tag unserer Radreise gleich wieder an den Ostseestrand – nicht nur zum Schwimmen und Dämme bauen, sondern auch zum Schätze suchen.

Im Sand, der hier übrigens überall aus eiszeitlichen Ablagerungen vom Festland ins Wasser gespült wurde, stecken nämlich viele Überraschungen, an denen viele achtlos vorrübergehen.

Dazu gehören Bernstein Variationen, wie der dunkelbraune Brack, aber auch versteinerte Fossilien von Pflanzen und Tieren die vor hunderten Millionen Jahren eingeschlossen wurden. Das Buch des erfahrenen einheimischen Geologen Rolf Reinicke “Steine am Ostseestrand” hilft uns die Funde einzuordnen und mehr über ihre Entstehung zu erfahren.

Am Abend machen wir einen Restaurantbesuch in einem der seltenen Strandrestaurants, die es hier im Nationalpark gibt. Wir genießen den Ausblick auf Strand und Meer bei einem Gläschen Rheinländer Wein und lauschen den Klängen einer Saxophonistin, die auf der Seebrücke von Wustrow spielt. Niki freundet sich währenddessen mit zwei Kindern an, klettert, tanzt oder spielt fangen.

 

Segeln mit dem Fahrrad

Bild: Die Mecklenburger Radtour GmbH

Am nächsten Morgen packen wir unsere Koffer und stellen sie vor der Rezeption ab. Unser Reiseveranstalter bringt sie, wie jeden zweiten Tag, mit einem Kleinbus zur nächsten Unterkunft. Unser Routenplan sieht für diesen Tag die Etappe von Fischland nach Zingst vor. Zwischen 30 und 35 Kilometer liegen heute vor uns. Der Wetterdienst hat Sturm gemeldet, was für diese Jahreszeit äußerst selten ist. Immerhin ist diese Region die sonnenreichste in Deutschland.

Wir checken die Lage gemeinsam mit der Rezeptionistin und beschließen es zu versuchen. Glücklicherweise bläst der Wind von Westen, landeinwärts. So treibt er uns von hinten an wie Tags zuvor das Zeesboot “Bill” auf dem Bodden. Wir müssen sogar aufpassen, dass wir nicht zu schnell werden oder umfallen.

Spätestens jetzt realisieren wir, dass es eine gute Entscheidung war, den Fahrradanhänger zu buchen. Ohne ihn hätten wir diesen stürmischen Tag, mit Windböen mit bis zu 60 Stundenkilometer, bestimmt nicht konfliktfrei überstanden.

 

Top 20 Strand

Im Schutz des Darßer Waldes, nach dem Künstlerdorf Ahrenshoop, beschließen wir von der vorgeschlagenen Route abzuweichen und zum berühmten Weststrand zu fahren.

Die Route ist in etwa genauso weit, wie die vorgeschlagene durchs Landesinnere – rund 33 km. Nur die Fahrt über den ehemaligen Grenzweg ist etwas holprig, weil mit unzähligen Betonplatten aus der DDR-Zeit gepflastert. Doch sie lohnt sich. Kein Strandabschnitt ist so naturbelassen wie der nordwestlichste Teil der ganzen Halbinsel. Es gibt zwar Strandzufahrten, aber keine einzige Unterkunft in Küstennähe. Nur am nordwestlichen Zipfel (Darßer Ort) stehen ein Leuchtturm und ein Backsteingebäude in dem ein Teil des Meereskundemuseums von Stralsund (Ozeaneum) untergebracht ist. Am Strand bläst der Wind noch immer heftig. Doch wir lassen uns nicht unterkriegen und spazieren auch hier einige hundert Meter entlang bevor wir uns etwas stärken und weiter Richtung Zingst radeln – zu unserem vorletzten Hotel.

 

Der Küstenradweg, der für diese Radtouren vorgesehen ist, ist übrigens ein besonderer Genuss. Er führt meist über Deiche oder direkt neben den Dünen am Meer entlang und darf nur von Fußgängern und Radfahrern benutzt werden. Von der Autostraße hört und sieht man nichts, weil sie, Gott sei Dank, weit genug entfernt ist. 

 

Keine Schönwettergarantie

Leider bleibt das Wetter unbeständig und kühlt ab auf 21 Grad. Es ist Ende Juli. Kurze Regenböen (meist feiner Nieselregen) wechseln sich mit Sonnenschein ab. Doch das macht den meisten Urlaubern nichts aus. Sie gehen auch bei weniger sommerlichen Temperaturen an den Strand. Die Zimmer sind jedes Jahr ausgebucht, erzählen uns Touristen und Einheimische. Immerhin gäbe es auch Jahre wo das schöne Wetter über mehrere Wochen anhält.

Eigentlich wollten wir auf der Heuinsel (so lautet die slawische Übersetzung von Zingst) eine geführte Wanderung mit einem Naturparkführer machen. Wir haben gelesen, dass es hier viele Zugvögel gibt. Doch zwei Stunden Fahrt nach Hiddensee sind uns heute zu lange. Deshalb radeln wir zur Tourismusinfo von Zingst und lassen uns die Spielplätze und Kinderattraktionen der Stadt auf der Karte markieren. Besonders empfehlenswert ist das Experimentarium. Eine lustige Miniaturausgabe des Mitmachmuseums Welios in Wels.

Sicher – wir könnten auch mit den Öffis oder einem Schiff über den Bodden nach Ribnitz-Damgarten fahren, in Europas schönstes Bersteinmuseum, das extrem gut für Kinder aufbereitet sein soll. Doch wir wollen heute etwas entspannen und Kräfte sparen für die letzte Etappe von Zingst in die Hansestadt Stralsund.

 

Pompöses Finale im Meeresmuseum

Am 7. Tag beschließen wir einen Teil unserer letzten Strecke von Barth bis nach Stralsund mit der Lokalbahn zu fahren. Die Tickets dafür liegen ohnehin in unseren Reiseunterlagen bereit. Der Wind bläst kräftig. Dieses Mal nicht nur die Küste entlang, sondern auch im Landesinneren und zwar genau in Fahrtrichtung.

In Stralsund checken wir in unser letztes Hotel ein und geben die Fahrräder zurück. Das Wetter hat sich nicht verbessert. Im Gegenteil. Es ist stark bewölkt. Beim Wasserspielplatz am Dach des Ozeaneums werden wir sogar von einem kleinen Gewitter überrascht. Doch das macht nichts. Immerhin sind an den beiden letzten Tagen nur noch Indoor-Aktivtäten geplant.

Wir genießen das Ozeaneum mit seinen vielen Riesenaquarien, Walskeletten und vielen Informationen über Fauna und Flora dieser schönen Urlaubsregion. Genauso wie das Erlebnisbad Hansedom bevor wir am 9. Tag unsere Koffer nehmen und mit dem Zug über Hamburg gemächlich nach Hause rollen.

 

Anreise

Mit dem (Nacht)zug “Hans Albers” über Hamburg, dann mit der Regionalbahn weiter nach Rostock und Warnemünde. Rückfahrt mit dem Zug von Stralsund bis Hamburg weiter nach Linz.

Buchen kannst du auf mecklenburger-radtour.de

Links

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CD-Tipp

Über das Meer“, Lieder über Matrosen, Haie, kleine Schiffe und das Leben rund um Meer, Matthias Meyer-Göllner

Video auf Youtube

 

Empfehlenswerte Spielplätze

  • Warnemünde: gleich neben dem Leuchtturm am Strand
  • Wustrow: hinterm Kapitänshaus
  • Ahrenshoop: neben dem Küstenradweg
  • Prewow: vor dem berühmten Strandzugang
  • Zingst: neben dem Experimentarium

Besonderer Ausflugstipp

Robbenstation der Universität Rostock in “Hohe Düne” gleich nach der Anlegestelle links. Bei rechtzeitiger Anmeldung darf man sogar mit den Tieren Schwimmen und Tauchen.

Sabine Blöchl