Kinder kommen vorurteilsfrei auf die Welt. Erst durch die Erfahrungen, die sie mit Erwachsenen in ihrem Leben machen, entwickeln sie Vorurteile.
Kinder lernen schon früh, Vorurteile zu haben: Bereits Dreijährige schreiben einer hellen Hautfarbe positivere Merkmale zu. In diesem Alter beginnen Kinder, unterschiedliche körperliche Merkmale bei anderen festzustellen. Hier schauen sie sich auch von ihrem Umfeld ab, wie Menschen zu bewerten sind, die “anders” aussehen. Sie ziehen ihre eigenen Schlüssen und entwickeln so genannte „Vor-Vorurteile“.
Erleben Kinder schon früh Vorurteile, kann dies eine Negativspirale in Gang setzen. Was ein Kind durch sein Umfeld lernt, legt es auf sich selbst um. Ein Kind fühlt sich ermutigt, wenn seine soziale Bezugsgruppe positiv bewertet wird. Genauso können negative Vorurteile dazu führen, dass ein Kind sich nichts zutraut und das negative Bild in sein Selbstbild übernimmt.
„Daher ist es besonders für Menschen, die in der Kindererziehung arbeiten, wichtig, die eigene Haltung zu reflektieren: Wie gehe ich mit Andersartigkeit, Diskriminierung und Einseitigkeit um? Bin ich selbst voller Vorurteile oder trete ich gegen Diskriminierung ein?“, weiß Doris Jagersberger von der Caritas-Fachberatung für Integration. „Kinder spüren es, wenn ihr soziales Umfeld nicht als normal empfunden wird. Das Kind kommt dann mit sich selbst in Konflikt.“
Vorurteilsfrei gibt es nicht
Wichtig ist, sich bewusst zu sein, dass man nicht vorurteilsfrei sein kann. Man kann sich jedoch seiner Vorurteile bewusst werden. So ist es die Aufgabe der Erwachsenen, Wege zu finden, mit ihren eigenen Vorurteilen umzugehen und sie zu reduzieren. Kinder müssen lernen zu verstehen, dass bloßes Anderssein niemals der Anlass zu Schlechterstellung oder Spott sein darf und dass ein Klima von Toleranz und Respekt Voraussetzung dafür ist, dass wir in einer Gesellschaft leben können, die allen gute Chancen bietet.
„Erwachsene leben in der Gruppe vor, wie wir miteinander umgehen“, betont Jagersberger. Das Ziel muss immer sein, Kinder in ihrer Identität zu stärken, damit sie zu Persönlichkeiten werden, die selbst mit Vorurteilen, Diskriminierung, Einseitigkeiten reflektiert umgehen. So können wir Gesellschaft auf ein vorurteilsbewussteres Miteinander hin verändern.
„Ich muss mich damit beschäftigen, wie es mir beispielsweise mit Familienkonstellationen geht, die anders als meine eigene sind“, so Jagersberger. „Habe ich ein Problem damit, wenn eine Familie aus Mama, Mama, Tochter besteht?“ Der Prozess kann lange dauern – denn die Vorstellungen, mit denen wir aufgewachsen sind, lassen sich nicht so einfach abschütteln. Selbst wenn im Kindergarten Geschlechter-Stereotypen bewusst in Frage gestellt werden, so zeigen sich leichte Veränderungen nur nach monatelanger Intervention und sind selbst dann nicht von Dauer.
Oft sind Erwachsene auch einfach in Situationen überfordert, die nicht ihrer Alltagsroutine entsprechen. „Ist man mit dem Anders-Sein konfrontiert, ist man unsicher, ob man selbst damit zurechtkommt“, so Jagersberger. Ablehnung fungiere dann als Schutzfunktion – im Normalen fühlt man sich sicher. Daher vermeidet man oft Situationen, in denen man Unsicherheit erlebt. „Kinder spüren das. Daher ist es für PädagogInnen unumgänglich, sich damit auseinanderzusetzen.“
Manuela Hoflehner