Wolfgang Nells Kinder bedauern, dass sie von ihrem Vater weder die Schnelligkeit eines Jamaikaners, den Wagemut eines australischen Reptilienzähmers oder die feurige Musikalität eines Mexikaners geerbt haben. Ein Papa-Blog über die exotischen Einflüsse und lebendigen Geschichten, die Freunde aus aller Welt in die Familie einbringen.
„Warum bist du kein Jamaikaner?“
Seit einigen Monaten ist der Sprinter Usain Bolt für einen meiner Söhne der Inbegriff gelebter Sportlichkeit. Usain Bolt besitzt viele goldene Medaillen. Täglich übe ich mich in Gebeten zu den olympischen Göttern, dass Herr Bolt seinen Sport ohne Dopingmittel ausübt. Mein Sohn hat mit dem Lauftraining begonnen. Natürlich wird hartes Training, davon ist mein Sohn überzeugt, zum Erfolg führen, doch die geerbten Veranlagungen eines jamaikanischen Vaters wäre ein großer Vorteil.
“Alle Jamaikaner sind unheimlich schnelle Sprinter”, flüstert mein Sohn voller Ehrfurcht. So ein jamaikanischer Vater würde das Vorhaben “Weltrekord” um einiges beschleunigen. Mein Einwand, dass ich als junger Mann bei einem 1000-Meter-Lauf den passablen 17. Rang erkämpft hatte, wird völlig ignoriert.
Ich bin auch kein Australier. Ein Freund unserer Familie hatte vor Monaten das Bild einer riesigen Schlange gepostet, die sich während einer seiner Reisen genüsslich als Gast in seinem Wohnzimmer ausgebreitet hat. „Traust du dich auch, eine so große Schlange mit deinen Händen zu packen, Papa? Harry kann das sicher. Er ist schließlich Australier, die können das!”
Ich bin auch kein Ägypter. Die Freundin meiner Mutter hat vor 40 Jahren einen Ägypter geheiratet, der noch dazu Pilot war. Meine Kinder finden das aufregend. In ihrer Vorstellung steht das Wohnhaus direkt neben den Pyramiden. Mit dieser Ehe habe ich schon als Kind erfahren, dass Allah und der christliche Gott nicht getrennt werden können.
Ich bin auch kein Spanier, denn dann würden die Kinder möglicherweise zweimal in der Weihnachtszeit Geschenke erhalten. Eine Freundin von uns kommt aus Spanien und dort bringen die Heiligen Drei Könige die Weihnachtsgeschenke. Meine Kinder sind über den Entschluss der befreundeten Eheleute begeistert, ihren Kinder beide Kulturen zu vermitteln, zumal sie alljährlich auch ein wenig von dieser Duplizierung mitnaschen dürfen.
Ein Mexikaner bin ich sowieso nicht, sonst könnte ich wunderbar Trompete spielen und bei den Geburtstagsfeiern unter einer Piñata “Dale, dale, dale” singen.
Ich und meine Frau stammen aus Österreich. Ich bin kein laufstarker Jamaikaner, kein australischer Reptilienzähmer und auch kein trompetenspielendes Mitglied eines Mariachi-Ensembles.
Das macht aber nichts, weil wir am Leben und den Geschichten unserer Freunde teilhaben dürfen. Mit ihren und auch unseren Geschichten sind wir ein liebenswürdiges und weltumspannendes Zeichen gelebter Akzeptanz unter den Menschen.
Persönlich weiß ich nicht um die Schwierigkeiten einer Partnerschaft, wenn im Alltag und zu Festzeiten die eigenen kulturellen Setzungen zum Ausdruck kommen wollen. Hier werden die PartnerInnen mit ihren Kindern sicherlich ein großes Maß an Kompromiss- und Vermittlungsfähigkeit entwickeln müssen.
Ich spüre aber die Liebe zwischen diesen Menschen, wenn sie über alle sprachlichen und kulturellen Prägungen hinweg offen für das Andere sind und eben dieses Andere als integrativen Bestandteil ihrer Beziehungen dialogisch auch an uns vermitteln. Darin sind sie mir und meinen Kindern immer wieder ein großes Vorbild.
Darum ein großes Danke an unsere GeschichtenerzählerInnen aus Italien, Polen, Peru, Ecuador, Südkorea, China, Türkei, Afghanistan, Ägypten, Jordanien, Tunesien, Spanien, Frankreich, Ruanda, Schweiz, Schottland, Slowakei, Weißrussland, Rumänien, Ukraine, Slowenien, Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Deutschland, Norwegen, Mexiko, Kanada, USA, …!
Mit euren Worten gibt es keine Grenzen!
…und natürlich auch an Usain Bolt mit seinen Weltrekorden. Du bist täglich in unserer Mitte.
Wolfgang Nell (45), akademischer Entwickler Sozialer Verantwortung, schreibt diesen Blog als Vater von drei Buben. Er kümmert sich zurzeit hauptsächlich um die Kinder im Alter von 2, 5 und 8 Jahren, während seine Frau Vollzeit als Ärztin arbeitet. Für Grünschnabel reflektiert er regelmäßig Erlebnisse aus seiner Familienwelt mit dem Lauf der „großen“ Welt, mit politischen und alltäglichen Geschehnissen.