Über die Sorgen von Kindern in Zeiten der Präsidentenwahl schreibt Wolfgang Nell in seinem Papa-Blog.
Meine Kinder machen sich Sorgen. Ich habe nicht gewusst, dass unter den Schülerinnen und Schülern einer zweiten Klasse der Volksschule in Linz das Thema Präsidentschaftswahl heiß diskutiert wird. Allgemeiner Favorit unter den Präsidentschaftskandidaten ist der Opa. Er schaut recht nett aus. Der Wahlkampf hat etwas Neues und Unangenehmes in den Gedanken und Gefühlen der Schulkinder ausgelöst:
Diese jungen Menschen haben irgendwann am Beginn des langen Wahlkampfes festgestellt, dass in ihrem Klassenverband eine recht bunte Mischung von Sprachen hörbar ist. Ebenso hören die Schülerinnen und Schüler, als Kinder einer typischen öffentlichen Stadtklasse, auf Namen wie Mohammed Emir, Emre oder Dafina.
Für meine Söhne sind das traditionelle österreichische Namen wie Andreas, Sophia oder Michael. Die SchülerInnen der anderen Schulklassen hören auch auf diese Namen. Diese Wahrnehmung der sprachlichen Verschiedenheit wurde mit der Fröhlichkeit kindlicher Neugierde aufgenommen. Ich wurde mitunter morgens mit einem chinesischen Gruß begrüßt.
Im letzten Monat hat sich jedoch unter den Kinder dahingehend eine eigenartige Verunsicherung breitgemacht, ob Nicht-ÖsterreicherInnen im Falle der Wahl des Nicht-Opas das Land Österreich verlassen müssen. Das hieße dann auch, dass sie nicht mehr die Schule besuchen dürfen.
Das führte zur Frage meines Sohnes an uns Eltern, was denn nun im Wesentlichen ein Österreicher/eine Österreicherin überhaupt sei, denn Mohammed Emir hat einen österreichischen Pass und sagt in einem Pausengespräch, dass er Türke und Österreicher sei. Die Wurzeln von Mohammed Emirs Großeltern sind in der Türkei.
Die Kinder haben gehört, dass der Nicht-Opa die aus den anderen Ländern nicht so gerne in Österreich haben will. Da nun die Großmutter meines Sohnes als Siebenbürgerin auch rumänische Staatsbürgerin gewesen ist, geistern die Interpretationen politischer Reden unangenehm in seinem Kopf herum: „Müssen wir dann alle das Land verlassen?“
Diese Gespräche erschüttern mich. Die Kinder haben Angst. Ich beruhige sie. In wenigen Wochen werden sie möglicherweise wieder alles vergessen haben. Das ist auch gut so, doch ihr Infragestellen der eigenen Beheimatung machen mich traurig: Die Kinder nehmen die Sätze der Wahlplakate und die Sprachmittel in den Diskussionen der Erwachsenen wahr. Sie nehmen als SchülerInnen ihre Unterschiedlichkeit wahr.
Als Kinder, ausgestattet mit dem Geschenk ihrer mannigfaltigen und einzigartigen menschlichen Individualität, erleben sie das Andere in ihrer Alltäglichkeit als Bereicherung. Die Eltern und Großeltern der Freundinnen und die Freunde meiner Kinder kommen aus der Türkei, aus Albanien, aus Mexiko, aus China, aus Spanien, aus Frankreich, aus Ruanda, aus Italien, aus Ägypten, aus Syrien,…, das sind WIR…verflixt noch mal!
Wolfgang Nell (44), akademischer Entwickler Sozialer Verantwortung, schreibt diesen Blog als Vater von drei Buben. Er kümmert sich zurzeit hauptsächlich um die Kinder im Alter von 2, 5 und 8 Jahren, während seine Frau Vollzeit als Ärztin arbeitet. Für Grünschnabel reflektiert er regelmäßig Erlebnisse aus seiner Familienwelt mit dem Lauf der „großen“ Welt, mit politischen und alltäglichen Geschehnissen.