Wolfgang Nell schreibt in seinem Papa-Blog darüber, wie Kinder wirtschaftliche Entwicklungen reflektieren.
Ich wundere mich ja immer wieder, auf welche wundersame Weise die Kinder uns erwachsene Menschen beobachten. Aus den Fragmenten jener Dialoge, die wir als Eltern untereinander und in den Gesprächen mit Freunden führen, zeichnen sie sich selbst ein eigenes Bild der gegenwärtigen Prozesse in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft:
Politik und Gesellschaft: Der gegenwärtige Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika ist noch immer eine ziemliche Katastrophe, weil ihm die Menschen und das Klima nicht interessieren. Unser Präsident lässt eigentlich nicht viel von sich hören, zumal vor dessen Wahl ziemlich viel gewählt herumdiskutiert worden war. Schön langsam stellt sich mein Sohn die Frage, ob der andere im Wahlkampf wirklich alle Menschen aus unserem Land hinaus werfen hätte können, wie dessen Aussage noch immer bitter in seinen Gedanken herumgeistert. Außerdem wird unter den PolitikerInnen zu viel herumgestritten.
So etwas würde seine geliebte Klassenlehrerin niemals dulden. Die SchülerInnen müssten im Morgenkreis eine kreative Lösung für einen Konflikt suchen. Konflikte haben sie immer wieder dann, wenn sich einzelne Schüler zu wichtig nehmen. Vor allem die KlassensprecherInnen sollten, symbolisch gesprochen, stets als Letzte in der Reihe stehend, vom gedeckten Tisch nehmen. Sie achten darauf, dass alle etwas bekommen. Ich würde in diesem Sinne von politischer Demut und Achtsamkeit sprechen.
Teile ich meinen Kindern etwas aus, dann kommt bei uns sehr schnell der Begriff der Gerechtigkeit zur Sprache. Ab und zu blicken alle argwöhnisch auf meine Hände. Jedes Gummibärchen wird gezählt, addiert und dividiert. Sie sehen alles. Kinder verstehen sehr gut, dass eins zu viel mit eins zu wenig korreliert. Eine Benachteiligung wird genauso skandalös wie eine Übervorteilung empfunden: Die gerechte Verteilung als mitmenschliches Handeln ist ein Grundprinzip menschlichen Zusammenlebens. Diese Verteilungsgerechtigkeit muss allem politischen Handeln inne wohnen, sonst erleben unsere Kinder diese Welt im Kleinen und im Großen als ungerecht.
Wirtschaft: Vor einigen Wochen war es bei vielen Kindern üblich, auf den Fingerspitzen ein Kreisel zu balancieren. Notwendigerweise wurde an mich die Bitte herangetragen, dieses technische Wunderwerk zu erwerben, um nicht als einziger in der Klasse mit leeren Händen/Finger in den Pausen herumzustehen. Trotz meiner Recherche, dass sich die Zahl alle auf vage geschätzte fünf bis sechs MitschülerInnen reduzierte, überlegte ich in den letzten Wochen, dem Wunsch meines Sohnes nachzugeben und dieses Ding zu kaufen. Die Alltäglichkeit verhinderte den sofortigen Kauf und letzte Woche schien es Zeit, den Kauf zu erledigen: „Welche Farbe willst du haben?” Mein Sohn: „Um Gottes Willen, … nein, … ich brauch so ein Ding nicht. Die sind wieder total out.“
Also: Die wachstumsnotwendige Taktung der neoliberalen Marktwirtschaft funktioniert durch den Erwerb zeitlich begrenzter Notwendigkeiten, die nach bedürfniserfüllender Handhabe wieder im Müll landen. Obwohl,… der Zauberwürfel wird vom Markt immer wieder aus den Schubladen gezaubert.
Mein Sohn schenkt diese Woche seinem Freund zum 9. Geburtstag Schnapskarten. Die hat es schon immer gegeben und sie sind ab und zu recht nützlich, zumal ein Freund unserer Familie auf seiner Reise mit der Transsibirischen Eisenbahn während der Fahrt über den weiten Ebenen mit seinem Reisebegleiter angeblich um die 700 Partien mit den Schnapskarten ausgefochten hat.
Wir glauben, dass unser Freund die Schnapskarten auf seiner Reise gebraucht hat. Mein Sohn hat dieses Kreiselding nicht benötigt, hofft jedoch, dass sein Freund irgendwann die Schnapskarten brauchen wird. Wir planen in unserer Familie unsere Wirtschaftlichkeit zukünftig an dieser Frage zu reflektieren: „Brauche ich/brauchen wir das wirklich?“
Wir werden sehen (…) 😉
Wolfgang Nell (45), akademischer Entwickler Sozialer Verantwortung, schreibt diesen Blog als Vater von drei Buben. Er kümmert sich zurzeit hauptsächlich um die Kinder im Alter von 2, 5 und 8 Jahren, während seine Frau Vollzeit als Ärztin arbeitet. Für Grünschnabel reflektiert er regelmäßig Erlebnisse aus seiner Familienwelt mit dem Lauf der „großen“ Welt, mit politischen und alltäglichen Geschehnissen.