„Hat denn dieser Präsident nichts in der Schule gelernt?” In der Familie von Wolfgang Nell wird zur Zeit viel über den US-Präsidenten, seine Macht und Unwissenheit über die Klimaerwärmung gesprochen.
Mein Sohn: „Ist der amerikanische Präsident der mächtigste Mann der Welt und ist es toll, alles machen zu können was man will?“ Ich: „Nein, …mein lieber Sohn, der amerikanische Präsident, also der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, kann erstens nicht alles machen, was er will und zweitens gibt es noch ein paar andere Männer, die zumindest genauso mächtig sind.“ Ich füge hinzu: “Der gegenwärtige Präsident der USA macht, was er will und findet es toll, der mächtigste Mann der Welt zu sein.“
Den letzten Satz hätte ich mir sparen können, denn in aller Klarheit formulierte mein Sohn diese Aussage: „Dann wäre es also durchaus vernünftig, der mächtigste Mann dieser Welt zu werden, um alles tun zu können, worauf man(n) gerade so Lust und Laune hat.“
Ich spüre, wie meine Falten auf der Stirn tiefe Furchen ziehen. Jedenfalls mögen meine Kinder Donald Trump nicht, weil ihm der Klimaschutz egal ist. Inmitten unseres familiären Widerstandes gegen die Klimaerwärmung – wir haben jetzt schon einmal ganz bewusst auf unser Auto verzichtet – hört mein ältester Sohn von einer Nachrichtensprecherin, dass der neue Mann am Schreibtisch mit den berühmten bunten Knöpfen (einer davon soll ja besonders Rot leuchten), die Existenz der Klimaerwärmung leugnet.
Jetzt haben wir aber ein gewaltiges Wahrheitsproblem zu verhandeln. Diverse Kinderzeitschriften und selbst die geliebte Klassenlehrerin würden das Faktum einer Klimaerwärmung niemals in Frage stellen.
„Hat denn dieser Präsident nichts in der Schule gelernt?”, höre ich die klagende Frage aus dem Mund meines Sohnes. Ich antworte: “Nein!“ „Dann hat er wahrscheinlich nicht aufgepasst“, ergänzt mein Wegbegleiter. Ja, solche Tage gibt es. Da lässt man sich von einer vergessenen Jausenbox samt Hungergefühl, vom kleinen Loch in den Schulpatscherl und von den rosaroten Glitzerspangen der Sitznachbarin derart ablenken, dass grundlegendes Wissen nicht aufgenommen werden kann. Anders kann sich das mein Sohn nicht vorstellen.
Wir reden über Macht. Das Ergreifen und das Ausüben von persönlicher Macht hat ja sehr oft jenen Nachteil, dass sie als Handlungsrealität die Anderen notwendigerweise ent-machtet – das spürt mein Sohn instinktiv! Natürlich lese ich in seinen Gesichtszügen, im Diskurs über die Macht, allerlei Vorstellungen einer Verwirklichung von Begehrlichkeiten aufleuchten: Zwei Katzen, ein Hund und eine PlayStation würden das Leben wunderbar bereichern und wenn dann noch die kleineren Brüder das machen würden, was man ihnen so sagt…
Wir haben in Österreich auch einen Präsidenten. Die Angelobung war ein Familienthema: “Der hat aber nicht so viel Macht wie der amerikanische Präsident, oder?“ Ich antworte: Dieser Mann hat mit vielen anderen Frauen und Männern mehr Macht als der Präsident der USA, weil sie den Menschen auf Augenhöhe begegnen und für eine gemeinsame und solidarische Zukunft in unserem wunderschönen Land ihr Wort erheben, weil sie verbinden und nicht trennen und weil sie die Komplexität unserer Weltstrukturen nicht simplifizieren, sondern unermüdlich verständlich zu erklären versuchen.
Möglicherweise ist der Begriff der Macht für Kinder deswegen schwer be-greifbar, weil er mit allerlei herrschaftlichen Metaphern korreliert und sehr selten als befreiend und als ein Aspekt des solidarischen Handelns verstanden wird. Das Wahrnehmen von Macht und der verantwortungsvolle Umgang mit Macht ist ja auch eine kreative und fantasievolle Entwicklung des eigenen Potenzials auf ein gutes Leben hin … und das wünsche ich voller Sehnsucht euren und meinen Kindern.
Wolfgang Nell (44), akademischer Entwickler Sozialer Verantwortung, schreibt diesen Blog als Vater von drei Buben. Er kümmert sich zurzeit hauptsächlich um die Kinder im Alter von 2, 5 und 8 Jahren, während seine Frau Vollzeit als Ärztin arbeitet. Für Grünschnabel reflektiert er regelmäßig Erlebnisse aus seiner Familienwelt mit dem Lauf der „großen“ Welt, mit politischen und alltäglichen Geschehnissen.