Mein Sohn und ich haben an einem der wenigen schönen Sommerabende auf die Sterne gewartet. In zwei warmen Decken gehüllt und mit geputzten Zähnen haben wir es uns in einem ruhigen Eckchen im großelterlichen Garten bequem gemacht. Keine Wolke war zu erkennen. Noch erblickten wir im dunklen Blau der angehenden Nacht keinen einzigen Lichtfleck. Es war eine stille Suche nach dem ersten Stern. “Wann kommen die Sterne?”, fragte mein Sohn. Mit dieser Frage sprang uns ein heller Punkt in die Augen. Anfangs kaum wahrnehmbar wurde der Lichtpunkt, je länger wir unsere Augen auf ihn richteten, immer heller. Wahrscheinlich war es die Venus. Sie ist kein Stern und trotzdem wunderschön.
Nach und nach setzten sich die Sterne über uns fest, wo sie schon seit so langer Zeit ihr Licht durch den Raum schicken. Wir begrüßten jeden Stern. Ich habe noch nie auf die Sterne gewartet. In dieser vordringenden Nacht trifft ihr Licht in allen Ländern auf des Menschen Netzhaut. Ihr Licht dringt zu den Menschen ans Mittelmeer, auf die Hoffenden der Schlepperrouten von Niger nach Libyen, auf die Männer und Frauen im Weißen Haus, im Kreml. Ihr Licht dringt zu uns. Der gleiche Himmel spannt sich über uns alle. Für einen kurzen Moment sehe ich in der Tiefe des dunklen Himmels mit seinen Lichtfunken etwas Tröstendes. Ich drücke mein Kind fest an mich.
Mit den Blick zu den Sternen denke ich an die Geschichte von Fatima, die sich mit ihren Kindern in allerletzter Minute an das rettende Ufer der Südküste Europas retten kann. Hat sie die Sterne gesehen? Mit diesen Gedanken kommen mir Worte aus dem Talmud in den Sinn:
Achte auf deine Gedanken, denn sie werden zu Worten. Achte auf deine Worte, denn sie werden zu Handlungen. Achte auf deine Handlungen, denn sie werden zu Gewohnheiten. Achte auf deine Gewohnheiten, denn sie werden zu deinem Charakter. Achte auf deinen Charakter, denn er wird zu deinem Schicksal.