Den turbulenten Verlauf eines ganz normalen Morgens in der Familie beschreibt Wolfgang Nell in seinem Papa-Blog.
„Geschafft!“, seufze ich zufrieden. Hinter meinem Rücken beginnt ein Mann schallend zu lachen. Ich drehe mich um. Wir blicken uns amüsiert in die Augen, um gemeinsam zu lachen. Soeben hat er wie ich die Winterjacke seines Sohnes auf einen kleinen Kleiderhaken gehängt. Wir verstehen uns. „Ich wünsche dir einen vergnüglichen Vormittag!“, sagt er. „Den wünsche ich dir auch!“, antworte ich.
Die Geschichte beginnt in der Dunkelheit. Es ist sechs Uhr morgens. Noch schlafen drei Buben in ihren Betten. Vor einer halben Stunde hat meine Partnerin sanft die Haustüre hinter sich geschlossen. Die Zeitung liegt vor der Tür. Eine halbe Stunde könnte sich zum Lesen ausgehen. Andererseits müssen die Winterschuhe vom Kleinsten noch einmal geputzt werden. Er ist gestern in einen Hundehaufen getreten.
Trotz Reinigung stinken sie noch immer. Die Überhose hat auch etwas abbekommen. Das habe ich gestern gar nicht bemerkt. Der üble Dreck muss abgebürstet werden. Bei der Ersatzhose ist der Träger abgerissen. Verflixt, das habe ich ganz vergessen. Ich habe keine warme Überhose für den Kindergarten zur Hand. Halb sieben: Fünf Minuten reichen für das Lesen eines kleinen Zeitungsartikels! Aleppo.
Die Seiten der Zeitung streifen sanft die ausgetrockneten Nadeln des Adventkranzes ab. Mein Kleinster ist aufgewacht. Ich höre das Tapsen seiner Schritte. Die Windel hat nicht standgehalten: „Nass!“, sagt er. Wir gehen Wickeln, dann setze ich ihn auf die Kinderklobrille. Bettwäsche wechseln. Ich raune zärtlich einen Weckruf in das Zimmer der Großen. Stille.
Der Kleine hat währenddessen eine Klopapierrolle ins Klo gesteckt. „Oje!“, sagt er. „Oje!“, sage ich. Die Milchpackung ist leer. Heute trinken wir Tee. Der Kleine schaltet die Getreidemühle ein. Das frische Mehl rieselt auf seine Hand. „Oje“, sagt er wieder und wischt sich das Mehl auf seinen sauberen Pullover.
Währenddessen sind die Älteren aufgestanden. Der Mittlere klagt über Bauchschmerzen. Meist hilft da ein großes Glas Leitungswasser.
Der Ältere schummelt beim Essen ein Buch auf den Tisch. Er liest gegenwärtig immer und überall. Am Tisch wird bei uns nicht gelesen. „Du liest doch am Tisch auch in der Zeitung!“, sagt er. Ich sage: „Wann?“ Er trägt in sich ein Bild der alten Tage, als er noch alleine mit mir am Tisch saß.
Die gefüllten Jausenboxen des Vortags sind noch immer in den Kindergartentaschen. Das darf nicht sein. Ich denke kurz darüber nach, ob die Verwaltung der Jausenboxen meine Aufgabe oder die Aufgabe meiner Kinder ist. Ich ärgere mich über dieses Wohlstandsgehabe, mir über die Weiterverwendung einer nicht verzehrten Jause Gedanken zu machen.
Seit gestern will unser Kleinster nicht mehr in den Kindergarten. Ich habe diesen Tag kommen sehen. Die Eingewöhnungsphase lief so reibungslos. „Papa, wo ist meine Federschachtel? Papa, welche Sprache sprechen die Aborigines? Papa, kommt das Christkind zu allen Kindern dieser Welt?“ Für einen kurzen Augenblick denke ich an Aleppo…
Irgendwann hänge ich die Jacke meines Kleinsten auf den Haken der Kindergartengarderobe, lege die Fäustlinge und die Haube in das Körbchen und drehe mich zum Ausgang. Alle Kinder sind an einem guten Ort: „Geschafft!“, seufze ich zufrieden.
Wolfgang Nell