“Warum müssen wir sterben?” Diese Frage aus dem Munde seines Sohnes bringt Papa-Blogger Wolfgang Nell gehörig ins Wanken. Es beruhigt ihn, dass diese Frage der Tod beantworten kann: „Weil man lebt!“ …zumindest in einem Theaterstück.
Kennen Sie die Geschichte Ente, Tod und Tulpe? In Kirchschlag bei Linz ist von bezaubernden Schauspielerinnen und einem Schauspieler diese Geschichte auf die Bühne gehoben worden …und wir waren dabei.
“Warum hat der Tod mit der Ente keine Ausnahme gemacht?”, murrt sichtlich verärgert mein ältester Sohn beim Schlafengehen. Schuld war der Tod in seiner Härte und Konsequenz, letztendlich der sympathischen Ente nicht das Leben zu schenken. Schuld an der aufkeimenden Verzweiflung war aber auch, dass wir die Ente und den Tod gut kennen. Die junge Schauspielerin als Ente ist eine Freundin und der Tod an ihrer Seite ist ihr Opa.
Die Grenzen zwischen Fiktion und Realität wurden aufgebrochen und übrig blieb bei uns das flaue Gefühl in der Magengrube, dass wir uns inmitten des heiteren Lebens auch mit Vorstellungen und Gedanken abmühen müssen, die wir so gerne verdrängen möchten. Die Ente war jung und hübsch und konnte wunderbar singen und tanzen. Dass diese Ente als Sinnbild eines noch nicht erfüllten Lebens mit dem Erscheinen des Todes auf der Bühne das Ende ihres Entendaseins wahrnimmt, empfindet mein Kind als Skandal.
Plötzlich war dieser Jemand nämlich da, obwohl er schon seit Beginn der Geschichte als würdevolle Erscheinung, in einem Frack gekleidet, der Ente bei ihrem unbeschwerten Treiben und Spielen im Ententeich zusieht. Der Tod erscheint als höfliches Wesen. Die Ente hatte sich ja den Tod eher im Erscheinungsbild eines Fuchses vorgestellt.
In dieser Geschichte des Autors Wolf Erlbruch fand der Tod großen Gefallen am Leben der Ente. Sie stellte ihm das Leben vor. Charmant und mit viel Witz versuchte sie, den Tod mit klugen Fragen im Disput um die Sinnlosigkeit seines Erscheinens um den kleinen Finger zu wickeln. Sie stellte sich ihm entgegen. Am Ende verneigte sich der Tod würdevoll vor der gestorbenen Ente – und die Tränen des Vaters und der Söhne flossen in Strömen.
Ja, wir müssen sterben und der Tod ist in seiner Konsequenz kompromisslos. Wer schon einmal dem Tod nahe war, weiß um dessen Allgegenwärtigkeit und spürt, dass auch eine Empörung über den Tod ausgesprochen werden darf. Ich würde meinen Söhnen gerne von einem konkreten Ausweg berichten, der diese Dramatik ein wenig abmildern würde.
“Ich habe geglaubt, dass die Ente weiterleben darf”, höre ich meinen Sohn sagen. Ich habe das auch kurz zu hoffen gewagt. Für ihn ist die Unbedingtheit des Todes ein Skandal. Darüber muss gesprochen werden.
Wir haben noch lange in die Nacht hinein geredet. Mein Sohn hat seiner Traurigkeit Ausdruck verliehen. Er darf traurig sein! Wir haben eine traurige Geschichte gesehen. Wir haben auch vom Mut unserer Freundin und ihres Opas gesprochen. Voll der Bewunderung haben wir uns darüber unterhalten, wie mutig sie sich als junger Mensch und als Darstellerin der Ente und er als ihr Großvater, über Monate lang hinweg in all den Probearbeiten und in den Aufführungen, diesem Thema gestellt haben. Ja, wir haben eine mutige Ente erlebt.
Vielleicht ist das der letzte Gedanke vor dem Einschlafen gewesen, dass wir trotz unserer Endlichkeit vor allem mutig für das Leben sein müssen, um den Tod trotz aller inneren Abwehr auch zu Wort kommen zu lassen. Uns hat dieses Theaterstück dabei sehr geholfen.
Ich wünsche ganz vielen Eltern, Kindern und Erwachsenen und allen Theaterleuten den Mut, sich schwierigen Lebensfragen zu stellen.
Ente: “Warum muss man eigentlich sterben?”
Tod: “Weil man lebt!”
Wolfgang Nell (46), akademischer Entwickler Sozialer Verantwortung, schreibt diesen Blog als Vater von drei Buben. Er kümmert sich zurzeit hauptsächlich um die Kinder im Alter von 5, 8 und 11 Jahren, während seine Frau Vollzeit als Ärztin arbeitet. Für Grünschnabel reflektiert er regelmäßig Erlebnisse aus seiner Familienwelt mit dem Lauf der „großen“ Welt, mit politischen und alltäglichen Geschehnissen.