Gemessen an den traditionellen sozialen und kulturellen Zuschreibungen der Vater-Rolle erscheint Papa-Blog-Autor Wolfgang Nell der Rollentausch mit seiner Frau häufig wie ein Balanceakt – im Spannungsfeld der Stereotypen Rabenmutter und Waschlappen.
Ich habe drei Kinder. Sie nennen mich Papa. Voriges Jahr hatten sie eine „Wolfgang“-Phase. Mit Gekicher haben sie mich bei meinem Vornamen gerufen. Die älteren Mitglieder unserer Familie haben meine Kinder ermahnt: „Das könnt ihr nicht tun: Der Papa ist der Papa!“ Mir selbst ist das egal, denn ich weiß ja, welche Rolle ich für meine Kinder spiele.
Die Schauspielerin legt ihre Rolle ab, löst ihre Maske auf und streift ihre Kleider ab. Wenn sie Glück hat, spielt sie die Rolle ihres Lebens. Ich kann meine Rolle nicht so einfach ablegen. Ich habe kein Drehbuch erhalten. Ich spiele immer wieder Improvisationstheater. Trotzdem spüre ich, dass meine Rolle sozial und kulturell zugeschrieben und festgelegt ist, wenn ich mich aus dem Rahmen der Rollenerwartung herausnehme: “Papa, warum gehst eigentlich du nicht frühmorgens zur Arbeit wie die Mama?”
Die Mama verlässt jeden Tag um 5.30 Uhr die Wohnung. Ich bringe die Kinder zur Schule und in den Kindergarten: Arbeitsteilung. Meine Rolle als Vater ist mein Beitrag für einen gelingenden Familienalltag. Ich würde sie auch als ein Bündel der verschiedenen Erwartungen beschreiben, das von meinem Umfeld an mich gerichtet wird. Die Rolle ist auch die Ausübung jener Funktion, die Kinder so gut wie möglich in ihrem Lebensalltag zu begleiten.
Wir haben die sozialen Rollen getauscht. Ab und zu hören wir das leise Raunen hinter unseren Rücken: Rabenmutter – Waschlappen! Hinter diesen unsinnigen Schmährufen schimmert die Frage nach der Vereinbarkeit von Familie und Karriere.
Ich habe schon viele Stunden auf Kinderspielplätzen verbracht. Auf vielen dieser sozialen Tummelplätze steht eine Wippe. So unterschiedlich groß und schwer die Wippenden auch sein mögen, die faktischen Unterschiede lassen sich nicht wegdiskutieren, so kann durch Schwerpunktverschiebungen ein dynamisches Wippen erreicht werden. Der Höhepunkt des Spiels liegt im bezaubernden Augenblick der Schwebe, als Moment der bewegten Ruhe. Gegenwärtig turnen natürlich noch drei Kinder, ArbeitgeberInnen, Freunde, Großeltern und u.v.a. auf der Wippe herum. Das macht den Balanceakt nicht unbedingt leichter!
Vor einigen Jahren haben meine Frau und ich die Sitzplätze getauscht. Das war und ist kein Rollentausch, sondern ein Platzwechsel. Ich bin viel schwerer als meine Frau. Wenn ich mich auf einer Wippe nach außen setze, schnellt sie nach oben und bleibt in der Luft hängen. Wenn sie ganz nach innen rutscht, dann verliere ich den Boden unter meinen Füßen. Damit uns das nicht ständig passiert, sind wir in einen Dialog getreten: erklären, abmachen, fordern, verzichten, hören und sprechen, träumen, schweigen, wählen, wahrnehmen, entwickeln, reflektieren, fragen, begehren, aufzeichnen, erinnern, lernen; klären und definieren von Belastungsrahmen, von Strukturen, von Listen und Rahmenbedingungen, von Notwendigkeiten und Unmöglichkeiten…
Ich wünsche mir so sehr, dass wir auf diese Weise als Mama und Papa, als Mann und Frau und als Personen mit unseren Namen für unsere Kinder eine Rolle spielen und unsere Rolle als ihre Begleiterin und Begleiter auf ihrem Weg zu einem selbstbewussten und guten Leben wahrnehmen.
Wolfgang Nell (44), akademischer Entwickler Sozialer Verantwortung, schreibt diesen Blog als Vater von drei Buben. Er kümmert sich zurzeit hauptsächlich um die Kinder im Alter von 2, 5 und 8 Jahren, während seine Frau Vollzeit als Ärztin arbeitet. Für Grünschnabel reflektiert er regelmäßig Erlebnisse aus seiner Familienwelt mit dem Lauf der „großen“ Welt, mit politischen und alltäglichen Geschehnissen.