Im rollenden Wagen eines Zugs entspinnt sich um Wolfgang Nell und seine drei Kinder ein angeregtes Gespräch über die Sinnhaftigkeit und Leistbarkeit von Kindern in der heutigen Zeit. Vier Generationen im Dialog über Last und Lust von Familie.
„Das mit den Kindern tue ich mir sicher nicht an, außerdem ist es unverantwortlich, in diesen Zeiten Kinder in die Welt zu setzten“, hörte ich den jungen Mann im Großraumabteil in meine Richtung sagen. Die Situation: Ich befand mich mit meinen drei Buben im Zug von Südtirol auf der Heimreise nach Linz. Auf der stundenlangen Bahnfahrt war ich mit einem älteren Ehepaar, einer jungen Frau und einem jungen Mann ins Gespräch gekommen.
Nun, wir alle haben nach dieser Aussage des jungen Mannes eine kurze Zeit lang geschwiegen. Selbst meine Söhne, mit Stiften und Büchern beschäftigt, hatten kurz verwundert aufgeblickt. Der junge Mann wirkte daraufhin ein wenig verwundert, dass sein Satz diesen beklemmenden Moment ausgelöst hatte. Er versuchte seine Besorgnis zu relativieren, wurde jedoch von seiner jungen Mitreisenden darin unterstützt, dass sie im Wesentlichen gleicher Meinung sei. Viele ihrer Freunde würden so denken: Generation Praktikum, schlecht bezahlte Jobs, schlechte Arbeitsverträge – drei Kinder würde sie sich niemals leisten können.
Wir älteren Menschen bemühten uns um eine Antwort. Wir wollten die pessimistische Grundstimmung dieser jungen und reflektierten Menschen verstehen. Das ältere Ehepaar begann zu erzählen. Sie erzählten von der langen und schweren Krankheit ihrer Tochter, von vielen ihrer Sorgen und Ängsten und von der Geburt ihres ersten Enkelkindes. Sie erzählten vom Konflikt mit ihrem Schwiegersohn, von den lieb gemeinten Ratschlägen ihrer Eltern, die sie allesamt bezweifelt hatten. Sie erzählten von den schlaflosen Nächten und vom ersten gemeinsamen Urlaub ohne Kinder. Wir lauschten ihren Worten, wie sie uns ohne Scheu die Liebe zu ihren Kindern offenbarten. Otto und Erna erzählten von ihrem Leben.
Ich erzählte vom täglichen Bemühen, die Buben frühmorgens alleine aus dem Haus zu bringen. Vom Fehlen der Jausenboxen in ihren Schul- und Kindergartentaschen. Ich erzählte von ihren Fragen, die für mich als Erwachsener oft so schwierig zu beantworten sind. Ich erzählte von den nächtlichen Waschgängen unserer standhaften Waschmaschine, wenn sich wieder einmal ein Magen-Darm-Infekt auf uns alle aufgeteilt hatte. Ich erzählte von den vielen Kuschelstunden und von einigen meiner Freunde, die meine Entscheidung, einen tollen Job für meine Kinder sausen zu lassen, bis heute einfach nicht verstehen können.
Über vier Stunden hinweg haben wir erzählt und erzählt und erzählt. Die beiden jungen Menschen haben zugehört und immer wieder Fragen gestellt: „Wie war es bei ihnen, als sie ihrem Arbeitgeber über ihre Vaterkarenz informiert haben? Wie können sie sich drei Kinder eigentlich leisten? Ist es okay, kleine Kinder so früh in den Kindergarten zu geben? Stimmt es, dass man nach der Karenzzeit weg ist von der beruflichen Karriereleiter? Sind sie nach der Karenzzeit eigentlich ein Hausmann? Haben sie ein gemeinsames Konto? Sind sie mit ihrer Frau mitversichert?“
Vier Generationen traten mit Fragen und Antworten in einen Dialog. Das war für mich das politische Handeln während dieser Bahnfahrt, über das Leben sprechen zu können und von anderen gehört zu werden. Ich glaube nicht, dass unser Erzählen als Sonnenlicht den Dunst des Zweifels der jungen Menschen aufzulösen vermag, doch die Sehnsucht inmitten einer derart von wirtschaftlichen Interessen fokussierten Zeit, auch vom zerbrechlichen Leben zu hören und auch erzählen zu können, war in diesem Großraumabteil für einige Stunden erlebbar.
Vielleicht treffe ich diese jungen Menschen noch einmal in einem Großraumabteil. Vielleicht sind sie es dann, die trotz anregender Gespräche mit ihren SitznachbarInnen versuchen, ihren Kindern eine fünf Stunden lange Bahnfahrt unterhaltsam zu gestalten.
Wolfgang Nell (44), akademischer Entwickler Sozialer Verantwortung,
schreibt diesen Blog als Vater von drei Buben. Er kümmert sich zurzeit hauptsächlich um die Kinder im Alter von 2, 5 und 8 Jahren, während seine Frau Vollzeit als Ärztin arbeitet. Für Grünschnabel reflektiert er regelmäßig Erlebnisse aus seiner Familienwelt mit dem Lauf der „großen“ Welt, mit politischen und alltäglichen Geschehnissen.