Am Lagerfeuer sitzen und Geschichten erzählen, im Wald spuren lesen, Natur beobachten, Clanarbeiten erledigen, Schnitzen und Töpfern – das erwartet Kinder zwischen 10 und 14 Jahren beim Grünschnabel-Wildnis-Camp mit Julian Brunmayr in Schleissheim bei Wels. Im Grünschnabel-Interview erzählt der 34-Jährige, wie Kinder die Gemeinschaft in der Natur lebendig und neugierig macht und sie dank der Logik des Kreis-Erlebens sich selbst ein Stück näher kommen.
Wie gestalten wir dieses Interview im Sinne der Wildnis-Pädagogik?
Redekreise sind ein wichtiger Teil der Wildnis-Pädagogik. Auf die Art fanden Naturvölker oft Lösungen für Probleme, lösten Konflikte etc. Wenn man es wie ein Naturstamm angeht, dann versucht man zu spüren: Was will gesagt werden? Das muss nicht zwangsläufig das sein, was gefragt ist. Ich vertraue darauf, dass das, was gesagt werden will, aus mir spricht und dass alles gut ist, was passiert.
Wie würdest du deine Arbeit deiner schwerhörigen Großmutter in wenigen Worten erklären?
Omi, ich gehe mit den Kindern raus in die Natur und öffne Räume, in denen sie sich selbst und der Natur begegnen können.
Wie bist du zum Wildnispädagogen geworden?
Nach der Matura habe ich eine Ausbildung zum Diplomsportlehrer gemacht. Danach arbeitete ich als Outdoor-Pädagoge mit Schulklassen und stieß dabei auf die Wildnisschule Wildniswissen. Da ging es viel um Selbsterfahrung, das war ein angenehmer Kontrast zu meiner vorherigen Ausbildung. Während der dreijährigen Wildnis-Ausbildung sind mir viele Lichter aufgegangen, das hat sich heilsam angefühlt. Zum Beispiel lernten wir, dass der Fußabdruck eines Tieres nicht nur erzählen kann, welches Tier und ob es sich um ein männliches oder weibliches Exemplar handelt, sondern auch, wie es diesem Tier gerade geht.
Was ist dein Antrieb für den Job?
Ich bin gern in Gruppen, ich bin gern Raumhalter, der sein Sensorium in alle Richtungen ausstreckt. Ich nehme darin gerne eine Vogelperspektive ein, um zu spüren, wo es gerade Konflikte gibt oder wo etwas gebraucht wird.
Zu den Säulen der Wildnispädagogik zählen Gemeinschaft und Aufmerksamkeit. Was kann ich mir darunter vorstellen?
Gemeinschaft: Friedliche Naturvölker organisieren viel in Kreisen. Das Selbstverständnis lautet: Wenn es dir gut geht, geht es mir gut. Wenn es dir schlecht geht, geht es mir ebenfalls schlecht. Gemeinschaft versteht sich aber nicht nur zwischen Menschen, sondern auch zwischen Mensch und Natur. Das Kreisbewusstsein wird kultiviert durch Lieder und Rituale sowie Geschichten. Ich versuche, ein Gefühl für die Atmosphäre im Kreis zu haben bei meinen Kinder-Camps.
Aufmerksamkeit: Im Zentrum steht, die Sinne zu öffnen, mitzukriegen, was in der Umgebung passiert (z. Bsp. was die Alarmsignale von Vögeln zu bedeuten haben). Aber auch seine Sinne zu öffnen für die Vorgänge am Himmel, um darin das aufkommende Wetter zu lesen. Dazu gibt es zum Beispiel spezielle Aufmerksamkeitsübungen für Kinder wie den „Fuchsgang“ (ganz langsam gehen) oder den „Eulenblick“ (180-Grad-Blick).
Warum sollten Eltern ihr Kind auf ein Wildniscamp schicken?
Weil die Veränderungen bei den Kindern augenfällig sind: Schon ein Tag draußen lässt sie mehr Vitalität und Lebendigkeit spüren. Sie haben am Abend glühende Wangen und leuchtende Augen und sind neugierig auf das, was um sie herum vorgeht.
Das Erzählen der Erlebnisse des Tages am Lagerfeuer stärkt die Beziehung zu sich selbst, zu den anderen und zur Natur. Wenn man eigene Erfahrungen macht, spürt man, dass man eingebunden ist in einen größeren Zusammenhang. Wenn man die Natur um sich herum spürt über den Ablauf eines Tages oder auch eines Jahres, gibt das ein Gefühl der Verbundenheit. Und dies ändert mein Selbstverständnis. Man fühlt sich nicht mehr allein, sondern als Teil von etwas Größerem.
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