Über die Selbstverständlichkeit von stets verfügbarem frischem, sauberem Wasser macht sich Papa-Blogger Wolfgang Nell Gedanken.

Vergangene Woche ist es mir wieder in aller Dramatik so richtig bewusst geworden: Ich lebe mit meiner Familie ein unvorstellbar gutes Leben. Natürlich haben wir auch Probleme und das letzte Jahr hat bei meinen Kindern und bei uns Eltern so mache Spuren der Erschöpfung hinterlassen.

Ich denke mir ab und zu, dass in unserer Familie eigentlich alles recht gut läuft. In unserer Welt ist vieles möglich. Meine Kinder haben die Chance auf Bildung und bei einem Unfall werden sie medizinisch bestens versorgt. Unsere Lebensumstände geben es her, dass wir uns um sie gut kümmern können. Wir zeigen ihnen offen die Welt in aller Diversität und Buntheit. Und doch. Ich lebe mit meiner Familie in einer Blase des unvorstellbar guten Lebens… und das ist mir oft nicht bewusst!

Jeden Morgen nehme ich mir ein Glas aus dem Küchenschrank. Ich drehe den Wasserhahn auf und klares Wasser stillt den morgendlichen Durst. Auf der Toilette zischt klares Wasser durch die Klomuschel und unter der Dusche genieße ich den Schwall des temperierten Wassers.

An diesem Morgen höre ich ständig irgendjemanden meiner Familie die Wasserhähne öffnen. Einfach so. Das ist wirklich ein großartiger Teil meines Lebens: Aus den Leitungen sprudelt Trinkwasser!

Mein älterer Sohn teilte mir vor einer Woche mit: “In der Zeitung steht, Meeresrotz bedroht das Marmarameer!”

Das Meer zwischen dem Schwarzen Meer und der Ägäis ist bald tot. Es stirbt ab. Durch die explosionsartige Vermehrung von Phytoplankton wird das Meer verschleimt. Das Plankton platzt und sondert den Schleim ab. Der Schleim verhindert den Austausch des Meeres mit der Atmosphäre.

Der Kreislauf des Wassers kommt mir in den Sinn und während der letzten Woche ertappte ich mich mehrmals beim Füllen des Glases mit Trinkwasser bei der Vorstellung, dass schleimiges und ungenießbares Wasser aus dem Wasserhahn fließen würde. Wie würde so ein Morgen aussehen? Schleimiges Wasser! Verschmutztes Wasser! Mit Bakterien verseuchtes Wasser!

Jeder Liter Wasser ist eine Kostbarkeit. Wie selbstverständlich und bedingungslos erwarte ich, dass wir klares Wasser haben? 

Auf einem meiner Wege treffe ich einen lieben Freund und erzähle ihm vom sterbenden Meer. “Dort kannst du nicht mehr auf Urlaub hinfahren!”, höre ich ihn antworten. Ich bin entsetzt! Doch am meisten über mich selbst. Hatte ich nicht einen ähnlichen Gedanken? Alle sprechen gegenwärtig vom Verreisen. Da wird uns doch nicht, auch wenn ich dort nicht hinfahren würde, ein Teil der Ägäis aus dem Reiseprospekt kippen?

Ist für uns, solange das klare Wasser aus den Leitungen sprudelt, alles in Ordnung? Nein, gar nichts ist in Ordnung. Sobald ich einen kleinen Schritt aus meinem kleinen Raum der Wirklichkeit mache, zerplatzt die Blase der Selbstverständlichkeit.

Wenn meine Kinder Durst haben, dann reiche ich ihnen sauberes Wasser. In meiner Welt ist das möglich. Doch diese Dankbarkeit wirft einen langen und dramatischen Schatten in die Wirklichkeit so vieler Menschen: Es fehlt ihnen das trinkbare Wasser!

Wolfgang Nell (geb. 1970), akademischer Entwickler Sozialer Verantwortung, schreibt diesen Blog als Vater von drei Buben. Er kümmert sich zurzeit hauptsächlich um die Kinder im Alter von 7, 10 und 13 Jahren, während seine Frau Vollzeit als Ärztin arbeitet. Für Grünschnabel reflektiert er regelmäßig Erlebnisse aus seiner Familienwelt mit dem Lauf der „großen“ Welt, mit politischen und alltäglichen Geschehnissen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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