Bücher Sellin15 bis 20 Prozent aller Menschen sind hochsensibel. Sie nehmen mehr Reize auf als andere, und das intensiver. „Sei nicht so empfindlich!“, hören diese Menschen oft in ihrer Kindheit.  Rolf Sellin vermittelt beim Seminar „Hochsensibilität – vom Manko zum Plus“ in Wels, wie Betroffene ihr Potenzial voll ausschöpfen können.

Über Hochsensibilität gibt es mittlerweile unzählige Bücher und Ratgeber. Kein Wunder, gelten doch 15 bis 20 Prozent aller Menschen als hochsensibel. Doch ist Hochsensibilität heutzutage deshalb wirklich anerkannt? Wohl eher nicht. Der gelernte Architekt Rolf Sellin (69), Heilpraktiker für Psychotherapie, der ein Hochsensibilitäts-Institut in Berlin leitet und selbst von diesem Phänomen betroffen ist, rät: „Sagen Sie anderen nicht, dass Sie hochsensibel sind. Es würde nicht gut ankommen und Ihnen auch nichts bringen.“

In einem vollbesetzten Seminar auf Schloss Puchberg in Wels referierte er über „Hochsensibilität – vom Manko zum Plus“ und will Betroffenen vor allem eines lehren: Wie sie trotz Hochsensibilität privat und beruflich ihre Möglichkeiten optimal ausschöpfen, ohne sich durch völlige Überlastung ständig vom Leben zurückziehen zu müssen. Dazu sei vor allem eines notwendig – die Zentrierung auf sich und die eigene Wahrnehmung.

Mehr und intensivere Reize

Hohe Sensibilität bedeutet zunächst nur, dass ein Mensch mehr Reize aufnimmt als andere, und das intensiver. Sellin: Darüber hinaus bleibt offen, wie ein Mensch damit umgeht – ob er sie konstruktiv zu nutzen versteht oder darunter leidet.

Edel, hilfreich und gut und möglichst noch perfekt möchten Hochsensible sein – und das probieren sie auch, immer und immer wieder und immer und immer wieder scheitern sie daran. „Wir befinden uns in einer ständigen Todesspirale.“, erläutert Sellin, „Voller Enthusiasmus stecken wir unsere Ziele hoch und noch höher, strampeln uns ab, um sie zu erreichen, erkennen irgendwann, dass wir es nicht schaffen, dann ziehen wir uns zurück, planen Leuchtturmwärter auf einer einsamen Insel zu werden, werden krank, pflegen unsere seelischen Wunden bis wir dann wieder das ganze Spiel von vorne beginnen. Ein Dilemma.“ Hochsensible übersehen ihre Bedürfnisse, weil sie die der anderen so überdeutlich spüren. Sie machen und tun bis sie nicht mehr können, weil sie schon längst über ihre Grenzen gegangen sind.

Lernen, Hochsensibilität zu verleugnen

Warum aber ist das so? Wo Hochsensible doch so sensibel sind, müssten sie doch noch besser auf sich aufpassen können? Sellin: „Leider haben viele von uns in der Kindheit gelernt, ihre Begabung zu verleugnen. Weil Cool- und Tough-sein im Umgang mit anderen wichtig war. Weil Eltern bzw. Erwachsene meinten: „Sei nicht so empfindlich! Stell‘ dich nicht so an!“

Kinder kommen so zu dem Schluss, dass ihre eigene, feine Wahrnehmung wohl etwas Schlechtes sein müsse. Weil man dazugehören und geliebt werden will, passt man sich an – und verliert den Bezug zur eigenen Wahrnehmung, zum eigenen Bauchgefühl, zum eigenen Körper.“ Von nun an richtet man seine Wahrnehmung nur noch nach außen und wird damit Spielball seiner Umgebung. Ein lebenslanger Leidensweg beginnt, der oft in Burn-Out, chronischen Krankheiten oder sozialer Isolation endet.

Auf den Körper und Inneres achten

Sellin hält dem entgegen: „Wir können wieder lernen, auf uns und unseren Körper zu achten und auch als Hochsensibler ein erfülltes Leben haben.“ Dazu hat er einige Methoden entwickelt:

– Ich achte bewusst auf das, was ich wahrnehme und das, was ich nicht wahrgenommen habe. Ich fokussiere mich mehr auf mein Inneres, meine Atmung und steuere damit meine Wahrnehmung und begrenze die Reize, die auf mich einstürmen, auf ein mir noch gut tuendes Maß.
– Ich lege meine Hände (oder die Katze, wenn sie will) auf den Bauch, komme zur Ruhe, zentriere mich.
– Ich gehe (energetisch) einen Schritt von mir weg, schaue mich an und unterhalte mich mit mir als mein bester Freund.
– Ich ziehe die Aura rund um mich enger und mache sie klarer, bekomme Yang-Energie, in Situationen wie Verhandlungen, wichtige Gespräche,… wo ich meine Position gut vertreten will.

Wie erkennt man, dass man selbst bzw. sein Kind vielleicht hochsensibel sein könnte?
Sellin hat dazu in seinem Buch einen eigenen Fragenkatalog für Erwachsene und für Kinder zusammengestellt: Reagiert Ihr Kind stark auf Lautstärke und Lärm? Ermüdet es schnell und braucht dann Rückzug? Ist es sehr auf Gerechtigkeit bedacht, achtet darauf, dass alle etwas bekommen? Mag es Harmonie, kann aber, wenn es überreizt ist, ganz schön aus der Haut fahren?
Meist ist zumindest ein Elternteil von hochsensiblen Kindern ebenfalls hochsensibel, denn dieses Phänomen ist erblich. Gerade hier ist es wichtig, als Erwachsener mit sich und seiner hohen Sensibilität ins Reine zu kommen, um dem eigenen Kind einen gesunden Lebensweg mit dieser wertvollen Begabung zu ermöglichen. Und noch ein gutgemeinter Rat von Sellin: „Gehen Sie raus ins Leben!“

www.hsp-institut.de

Literaturtipps:
Sellin, Rolf: Wenn die Haut zu dünn ist. Hochsensibilität – vom Manko zum Plus. Verlag Kösel, München, 2011.
Sellin, Rolf: Ins Herz getroffen. Selbsthilfe bei seelischen Verletzungen. Verlag Kösel, München, 2016.
Sellin, Rolf: Mein Kind ist hochsensibel – was tun? Wie Sie es verstehen, stärken und fördern. Verlag, Kösel, München, 2015.

Daniela Christl