Du brauchst dringend eine Bohrmaschine? Frag nebenan. Welcher Arzt empfiehlt sich in der Nähe? Frag nebenan. Wer füttert den Kater, wenn du auf Urlaub bist? Frag nebenan. Die Online-Plattform www.fragnebenan.com vernetzt NachbarInnen. Gründer Stefan Theißbacher im Interview.

Wie seid ihr auf Idee zu fragnebenan.com gekommen?
Ich bin aus einem kleinen Ort in Kärnten nach Wien gekommen und habe in einem Wohnhaus mit 25 Parteien gelebt. Außer „Hallo“-Sagen gab es da keinen Kontakt. Ich fand schade, dass die Gemeinschaft nicht genutzt wurde. Ich wollte mehr Bezug zu den Menschen in meiner Nachbarschaft und so hatte ich die Idee mit der Online-Registrierung. So kommt man auch nur mit Leuten in Kontakt, die das auch wirklich wollen. 2014 haben wir www.fragnebenan.com gegründet. Heute ist dies ein Unternehmen mit vier Vollzeit-Jobs.

Studien sagen, dass NachbarInnen entscheidende Einflussfaktoren für die gefühlte Wohnqualität sind. Intakte Nachbarschaften steigern also das Wohlfühlen. Gibt es ein Rezept dafür, wie ein Nebeneinander zu einem Miteinander wird?
Ja, indem wir uns öffnen für den Nachbarn. Die sind ja auch nur Menschen. Oft werden NachbarInnen so wahrgenommen, dass sie im besten Fall nicht stören. Es gilt, sich bewusst zu werden, dass man eine Gemeinschaft bildet mit den Leuten, mit denen man unter einem Dach oder in einer Straße lebt.

Über fragnebenan.com lernt man Leute kennen und zwar nicht nur, wenn sie abends mal zu laut feiern, sondern auch weil sie einen Bio-Laden empfohlen oder schon einmal eine Beißzange geborgt haben. Das heißt, man lernt ihre Stärken kennen und kann so die Schwächen besser verzeihen. Das schafft schon einmal eine ganz andere Gesprächsbasis. Es geht bei Nachbarschaften viel um Atmosphärisches, darum, wie man aufeinander zugeht. Da sind es oft Kleinigkeiten, die den Unterschied machen.

In Linz sind rund tausend Leute registriert – kann man sich fragnebenan.com wie Facebook für örtlich Nahe vorstellen?
Nein. Uns ist Datenschutz sehr wichtig, die Privatsphäre der UserInnen ist gut geschützt. Nur wenn man das will, gibt man etwas von sich preis. Unsere Idee ist Vernetzung mit Menschen, die in unmittelbarer Nähe leben.

Wie kann man www.fragnebenan.com nutzen?
Man registriert sich mit dem richtigen Namen und der echten, physikalischen Postadresse, denn diese stellt das Zentrum der persönlichen Nachbarschaft dar. Darum herum zieht unser System einen Radius von 750 Meter und vernetzt die NachbarInnen in diesem Bereich. Deshalb füllt man bei der Registrierung die Adresse einer Postkarte aus. Auf dieser schicken wir den neuen Usern per Post den Zugangscode zu, um die Adresse zu verifizieren. Dann kann’s losgehen.

Wenn man Anliegen hat, kann man diese posten, je nach Thema auf drei verschiedene Arten. Entweder nur im eigenen Wohnhaus, in der gesamten Nachbarschaft oder man kann an einzelne NachbarInnen eine private Nachricht schreiben. Es können auch Gruppen gegründet werden wie etwa Eltern-Kind-Gruppen oder Haustier-BesitzerInnen-Gruppen.

Vor allem junge Familien und PensionistInnen nutzen das Netzwerk.
Wir unterscheiden vier große Bereiche:
1. Die klassische Nachbarschaftshilfe: Werkzeug und Küchengeräte bis hin zu Spielzeug werden verliehen. Wenn jemand krank ist, wird jemand gesucht, der etwas aus der Apotheke mitbringt etc.
2. Empfehlungen: Ist man auf der Suche nach einem guten Yoga-Lehrer, einem Handwerker oder einer Physiotherapeutin wird häufig die Nachbarschaft konsultiert – nicht nur Neuzugezogene schätzen diese Tipps.
3. Kleinanzeigen: Hier werden eigentlich die meisten Dinge verschenkt oder getauscht. Das reicht von Kinderkleidung über Pflanzensetzlinge bis zum Kühlschrank-Inhalt vor dem Urlaub.
4. Leute kennenlernen: Junge Familien suchen Gleichgesinnte für Spielgruppen oder Unternehmungen; ältere Menschen möchten Leute kennen lernen, die in Gehentfernung leben, um gemeinsam ins Theater oder ins Kaffeehaus zu gehen. Hier gibt es recht bunte Initiativen, sie reichen von Lauf-Treffs bis hin zu Flohmärkte gemeinsam organisieren. Es gibt Single-Gruppen und Gruppen für verschiedenste gemeinsame Freizeitgestaltung.
In größeren Gruppen, die schon länger bestehen, kristallisiert sich häufig noch eine fünfte Kategorie heraus: Partizipation und Mitgestaltung. NachbarInnen tun sich zusammen, um Bürgerinitiativen anzustoßen: eine gefährliche Kreuzung zu entschärfen etc.

Ein paar Beispiele der interessantesten Aktivitäten?
Eine kranke Dame konnte ihren Garten nicht mehr selbst bearbeiten, über fragnebenan.com fand sie jemanden, der jetzt die Gartenarbeit erledigt und dafür die Ernte behält. Die Frau kann jedoch nach wie vor in ihrem gepflegten Garten sitzen und die Natur genießen. So profitieren beide Seiten. Eine Bekannte kauft jetzt immer von ihrer Nachbarin selbst gebackenes Brot. Da gibt es viele Beispiele.

Derzeit sind rund 40.000 NachbarInnen in Wien, Graz, Salzburg, Innsbruck, Klagenfurt, Linz registriert. Brauchen kleinere Städte keine Nachbarschafts-Netzwerke?
Doch, wir haben zwei kleine Städte versucht. Das funktionierte jedoch noch nicht mit unseren Kanälen. Deshalb konzentrieren wir uns momentan auf Städte in Österreich mit mehr als 100.000 EinwohnerInnen. Langfristig möchten wir aber auch in kleineren Gemeinden aktiv werden, dann macht allerdings der Radius von 750 Metern keinen Sinn mehr, dann endet die Nachbarschaft an der Gemeindegrenze.

www.fragnebenan.com

Artikel: Online Nachbarschaften knüpfen – Facts zu fragneben.com

Maria Zamut