Wenn das eigene Kind von Mobbing betroffen ist, fühlen sich Eltern oft hilflos. Bernhard Diwald von der Kinder- und Jugendanwaltschaft OÖ erklärt, welche Dynamiken hinter Mobbing stehen.
Wann kann man von Mobbing sprechen?
Bernhard Diwald: “Per Definition braucht Mobbing immer einen ‘Zwangskontext’. Das heißt, ich kann mir nicht aussuchen, ob ich mich der Situation aussetze oder nicht. Bei einer Feuerwehrgruppe entscheide ich selbst, ob ich hingehe. Arbeit und Schule haben jedoch einen gewissen Zwangskontext. Die Schule ist daher prädestiniert für Mobbing, da alle hingehen müssen.”
Welche Form nimmt Mobbing durch die sozialen Medien an?
Bernhard Diwald: “Für Jugendliche sind die sozialen Medien ein fixer Bestandteil ihres Lebens. Für sie ist es keine Option, ohne soziale Netzwerke zu kommunizieren. Deshalb ist auch online ein Zwangskontext gegeben und Mobbing spielt sich zum Teil online als Cybermobbing ab – wobei Cybermobbing und unmittelbares Mobbing Hand in Hand gehen. Da die Sozialnetzwerke intensiver genutzt werden, ist Cybermobbing jedoch stärker geworden.”
Wie können Eltern erkennen, dass ihr Kind gemobbt wird, sofern es nicht von selbst darüber spricht?
Bernhard Diwald: “Oft ist es erst ersichtlich, wenn das Kind sich zurückzieht und immer weniger redet. Im weiteren Verlauf schläft es schlecht, hat Bauchweh und sagt vielleicht, dass es nicht mehr in die Schule gehen will. Schließlich kann es alle Ausformungen von psychosomatischen Erscheinungsbildern haben – Panikattacken, Selbstverletzungen, etc.”
Was kann man tun?
Bernhard Diwald: “Das ist eine komplexe Geschichte. Erst muss ich wissen, aus welcher Dynamik Mobbing entsteht – wenn ich das verstanden habe, kann ich etwas tun.
Mobbing zielt immer auf soziale Isolation ab, auf Ausschluss aus der Gruppe. Es wird direkt oder indirekt Gewalt angewendet – physische oder psychische. Indirekte Gewalt bedeutet beispielsweise, wenn sechs Mädchen in einer Klasse sind, fünf davon jeden Tag in der großen Pause zum Supermarkt gehen und dabei eine ‘vergessen’. Da war niemand direkt böse, niemand hat sich abfällig geäußert, aber die Handlung ist ganz klar zielgerichtet und vermittelt: Du gehörst nicht dazu. Das ist eine Form von sozialer Gewalt.
Unbewusstes Mobbing heißt, dass sich eine Person erhöht, indem sie andere erniedrigt. Oft ist die Motivation dahinter schlichtweg Spaß. Kinder, die jemandem Leid zufügen, sind oft nicht besonders bösartig oder hinterhältig, sondern suchen Anerkennung. Kinder finden diese Anerkennung, wenn sie sich in die Gruppe integrieren, indem sie Identität stiften und jemand anderes hinausekeln.
Mobbing muss auch eine gewisse Dauer haben. Aus der Praxis würde ich als Faustregel drei Monate angeben.”
Welches Umfeld braucht es, damit Mobbing zustande kommt?
Bernhard Diwald: “Wenn möglichst viele nicht in Verantwortung gehen, begünstigt dieses Umfeld Mobbing. Das heißt, viele Kinder schauen zu oder weg und tun nichts, genauso wie die Lehrer und Eltern, die nicht adäquat in Verantwortung gehen können oder wollen. Wenn LehrerInnen das Problem pseudo-pädagogisch angehen, gehen sie nicht in Verantwortung, genauso wenn ein Direktor sagt, wir halten den Ball flach und sprechen nicht zu viel darüber. Oder wenn Eltern sagen ‘Sei froh, dass dich der Blitz nicht streift. Misch dich nicht ein’ begünstigt das Mobbing. Mobbing lebt von Intransparenz. Da wird immer ein wenig unter den Teppich gekehrt.”
Zieht das auch weitere Kreise?
Bernhard Diwald: “Der gesellschaftliche Einfluss hat auch seine Wirkung. Im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf sind die Fetzen geflogen. Das war unfassbar, wie da gesprochen wurde. Kinder bekommen das mit. Wenn das normal wird, hat es einen Einfluss.
Auch die Flüchtlingsthematik hat eine ganz klare Mobbing-Dynamik: Es sind viele gegen wenige, mit dem Ziel der sozialen Ausgrenzung. Es wird psychische Gewalt angewedet mittels Diskreditieren und verächtlichem Sprechen – das ist Mobbing und es geht schon länger als drei Monate. Wenn das ‘akzeptiert’ ist, hat das Auswirkung darauf, wie die Kinder sich in der Schule verhalten.”
Elternbroschüre: Was tun bei Mobbing in der Schule?