„Jungen tun sich in der Schule schwerer“, findet Gymnasiallehrer und Buchautor Peter Maier* aus Bayern. Den Grund sieht er darin: Für Schüler in der Pubertät sind männliche Identifikationsfiguren oft rar, die den Prozess des Erwachsenwerdens in der Schule begleiten und Orientierung vermitteln.
Statistiken lügen nicht. Seit der Einführung des Gymnasiums G 8 in fast allen deutschen Bundesländern ist ein erstaunliches Phänomen festzustellen: Bei der Matura schneiden die Mädchen meist besser ab als die Buben. Warum tut sich also das „starke“ Geschlecht schwerer in der Schule als das „schwache“? Einen ersten Hinweis auf die Beantwortung dieser Frage erschließt sich aus der Diskussion bezüglich des Bayerischen Gymnasiums. Bayern hat mit Beginn des Schuljahres 2015/2016 den Modellversuch „Mittelstufe Plus“ gestartet. Statt in drei kann diese in vier Jahren absolviert werden. Dazu titelt die Süddeutsche Zeitung: „Es geht auch um Reife. Das Zusatzjahr im Gymnasium hilft vor allem den Buben.“
Persönlichkeitsentwicklung verläuft bei Buben langsamer
Der Schulleiter Günter Jehl des Gymnasiums Oberviechtach bringt es auf den Punkt: „Viele Schüler sind nach der 10. Klasse definitiv nicht weit genug für die Q11 … Mädchen sind zwischen 14 und 17 immer voraus, aber das eine Jahr ist bei den Buben sehr deutlich spürbar.“ Jehl meint damit das fehlende Schuljahr des G-8-Gymnasiums, das vor allem den Jungen Nachteile gebracht hat. Daher erhofft er sich gerade für die Persönlichkeitsentwicklung der Burschen viel vom Zusatzjahr der „Mittelstufe Plus“. Er führt jedoch nicht näher aus, warum dies so ist.
Natürlich könnte man nun entwicklungspsychologische Theorien bemühen, warum man Jungen als das „schwache Geschlecht am Gymnasium“ bezeichnen muss. Solche Erwägungen können vielleicht einige Antworten geben, wirklich befriedigend sind sie jedoch nicht. Warum also haben besonders Buben oft mehr Schwierigkeiten, ihren eigenen (auch schulischen) Weg zu gehen, ein Studium zu wählen und ihren Platz im Leben zu finden?
Buben brauchen männliche Erzieher und Lehrer
Seit ich mich intensiv mit der Frage nach der Initiation, also mit dem Prozess der Persönlichkeitsentwicklung und des Erwachsenwerdens beschäftige, verstehe ich die Situation von Jungen viel besser. Man könnte es auf folgende Formel bringen: Buben vermissen häufig männliche Initiations-Mentoren, die ihnen in ihrer Pubertät beistehen und sie bei ihrem Prozess der Persönlichkeitsentwicklung hin zum Erwachsenwerden adäquat und einfühlsam begleiten und ihnen Orientierung geben. Dies soll in folgenden Thesen plakativ zum Ausdruck gebracht werden:
1. These
Heute wird der Kita-Ausbau sehr forciert. Viele Eltern wollen ihre Kinder aus beruflichen Gründen schon im ersten Lebensjahr in die Kindertagesstätte bringen. Die Kinder erleben dort fast ausschließlich Frauen.
2. These
Im Kindergarten haben es die Jungen und Mädchen in der Regel mit Frauen zu tun. Auch in der Grundschule gibt es fast nur noch weibliche Lehrkräfte. Die Kinder treten dann über in die Mittelschule, meist aber in weiterführende Schulen wie Realschule oder Gymnasium. Dort sind heute 70 bis 80 Prozent der Lehrkräfte wiederum Frauen.
3. These
Gerade in der Pubertät brauchen die Jungen unbedingt männliche Lehrkräfte, um sich an den erwachsenen Männern orientieren, reiben und messen zu können. Für ihre Entwicklung benötigen Jungen neben dem eigenen Vater, der zudem während des Tages häufig weg von zu Hause ist, weitere männliche Vorbilder bei ihrem Pubertätsprozess.
4. These
Fehlen aber Lehrer, dann ist die Persönlichkeitsentwicklung der Jungen womöglich blockiert oder sie verläuft einseitig in einem zu weiblichen Werte- und Kommunikationssystem ab. Weibliche Lehrkräfte können diesen Mangel nicht wirklich ausgleichen. Buben brauchen Männer! Jungen müssen täglich einige Stunden lang „be-vatert“ werden.
5. These
Burschen haben oft eine wildere Energie, die weiblichen Lehrkräften womöglich unangenehm, unangemessen, suspekt oder gar als gefährlich und „schlecht“ erscheint. Jungen aber müssen gerade vor dem Hintergrund des Initiations-Gedankens ihre neue, pubertär erwachte und freigesetzte Initiations-Energie anders und „knalliger“ ausdrücken als Mädchen. Dies ist jedoch nicht „schlecht“, sondern eher natürlich für Jungen. Jungen sind eben anders als Mädchen!
6. These
Daher benötigen gerade Jungen unbedingt geeignete und rechtzeitig durchgeführte Initiationsrituale, durch die sie ihre Kraft, ihren Mut, ja sogar ihr Draufgängertum zeigen und zur Besinnung kommen können. Und sie sehnen sich nach Anerkennung dafür vor allem von Männern. Hierin liegt eine wichtige pädagogische und gesellschaftliche Aufgabe, die bisher überhaupt nicht gesehen wird.
7. These
Fallen solche Übergangsrituale aus, haben viele Jungen ein Problem. Sie sind in ihrer Entwicklung blockiert, zumindest aber gehemmt, weil niemand da ist, der sie in ihrem innersten Wesen annimmt, sie in ihrem Initiations-Bedürfnis versteht, sie da abholt, wo sie gerade sind und sie liebevoll, mit dem nötigen Ernst, aber auch mit Humor durch ihre Pubertät und hinein ins Erwachsensein führt. Hier sehe ich einen Hauptgrund, warum Jungen zum schwachen Geschlecht im heutigen Schulsystem geworden sind.
8. These
Lehrer könnten und sollten solche Mentoren sein, die den Jungen initiatorische Mutproben ermöglichen, ihnen aber auch Grenzen setzen, wenn diese nötig sind. Männliche Lehrer sind schon von ihrem Beruf her eigentlich dafür prädestiniert. Sie sollten jedoch dazu selbst ausgebildet sein, um das Initiations-Potential der Jugendlichen besser erkennen und wertschätzen zu können.
Zum Autor: *Peter Maier ist Gymnasiallehrer in Bayern, Jugend-Initiations-Mentor und Autor mehrerer Bücher wie etwa:
Schule – Quo Vadis? Plädoyer für eine Pädagogik des Herzens
Initiation – Erwachsenwerden in einer unreifen Gesellschaft. Band I: Übergangsrituale
Initiation – Erwachsenwerden in einer unreifen Gesellschaft. Band II: Heldenreisen
Nähere Infos und Buch-Bezug: www.initiation-erwachsenwerden.de
Hallo,
den Titel “richtige” Männer finde ich wirklich verstörend!
Was versteht ihr unter “richtige” Männer?
Hallo Margit, verstören war keineswegs unsere Absicht, vielmehr zum Nachdenken anregen. Mit “Richtige Männer” haben wir bewusst und auch ein bisschen provokant eine sehr gängige Formulierung gewählt. Sie steht für uns für Männer, die zu ihren Gefühlen stehen können, ohne dass ihre Männlichkeit darunter leidet. Das Grünschnabel-Team