Von Thomas Rosenlöcher und Verena Hochleitner
Für Kinder ab 5 Jahren
Eine kleine Blume bewirkt Großes
Die beiden ältlichen Bewohner des Häuschens innerhalb des Zauns haben es schwer. Paradepensionisten sind sie. Lena und Manfred pflegen den Ordentlichkeitswahn und patrouillieren wie in Uniformen gekleidet im Gleichschritt durch den Garten, stets auf der Suche nach unerwünschtem Grün. Der Weg erbebt unter ihren Schritten, die Katze zieht die Ohren ein. Verschlossen und griesgrämig, den Blick hinter dicken Brillengläsern gesenkt, die Schultern hochgezogen, dunkelgrau gestimmt wie ihr kleines Haus am einleitenden Vorsatzpapier – so fristen sie ihre Tage und ertragen die lästige Pflicht der Gartenarbeit mit Leidensmiene.
Sprechende Tiere begegnen uns im Bilderbuch ständig, aber ein Zaun, der Meldung macht, das ist originell!
Drei Freunde, die zusammenhalten
Das kleine grüne Etwas, ein winziges Gänseblümchen, das sich Manfred und Lena unbekümmert entgegenstellt, könnte für Lebendigkeit und Abwechslung sorgen. „Jetzt blüht das Ding auch noch“, berichtete der Zaun… Das ist unerhört und ruft umgehend Unkrautvernichtungsmittel auf den Plan. Obwohl das Gänseblümchen dem chemischen Angriff trotzt, bekommt es dennoch keine Chance im rechtwinkeligen Denken der beiden Säuberlichkeitsfanatiker. Ausgerissen soll es werden, lautet die Anweisung an den Ehegatten – „Wie du meinst, Lena.“ Die Katze beißt Manfred in die Hand, der Zaun knarrt protestierend – nette Versuche, das Unheil zu verhindern. Wie ein Feldwebel sorgt die eiserne Lena selbst für Ordnung: in hohem Bogen fliegt das entwurzelte Blümchen über den Zaun. Als Antwort segeln heimlich, still und leise harmlose kleine Löwenzahn-Schirmchen herein…
Zeit für Veränderung
Eine verzauberte Nacht mit prächtigem Sternenhimmel „Punkt für Punkt mit Gänseblümchen übersät“ sorgt für das Wunder und bekehrt die beiden peniblen Spießer. Die Bilder begleiten sie bei ihrer Verwandlung zu verspielten, selbstzufriedenen Geschöpfen, die wie Kinder auf der Erde sitzen und über jedes neu erblühende Gänseblümchen staunen.
„Es war einmal ein Morgen, in den die halbe Welt hineinpasste.“
So poetisch eröffnet der deutsche Schriftsteller und Lyriker Thomas Rösenlöcher die Geschichte. Das ist schon viel, die halbe Welt in einem einzigen Morgen.
Doch am Ende kam nach der Nacht „irgendwann ein Morgen, in den die ganze Welt hineinpasste …“, und zwar eine Welt, in der paradiesische Zustände herrschen: Hand in Hand tänzeln die Leutchen durchs hochgewachsene Grün – Hihi, nur mit ihren Brillen bekleidet! – und der Kirschbaum trägt reiche errötende Frucht. Wie Adam und Eva im Garten Eden freuen sie sich des Lebens in ihrem üppigen Unkrautdschungel. Scheibtruhe und Harke zum Jäten lassen sie links liegen.
Auch das Häuschen ist nun aufgeschlossen und offen. Es gewährt Einblick in eine Küche mit wärmendem Ofen.
Illustratorin Verena Hochleitner erzählt die nachdenkliche Geschichte mit reduzierten Bildern. Genial charakterisiert sie die Borniertheit der beiden Ignoranten und schafft es auch, die Wendung witzig zu inszenieren. Mit weit aufgerissenen Augen registriert die Katze jegliches Geschehen.
Grautöne und Bleistiftzeichnungen dominieren. Grüne Pastellzeichnungen werden collagiert und bilden verschiedene Raumebenen, die man als BetrachterIn gern betreten würde.
Die zarte Geschichte über Engstirnigkeit und Angst, für Toleranz, Achtsamkeit und Vielfalt lädt zum gemeinsamen Philosophieren ein.
Thomas Rosenlöcher/Verena Hochleitner:
Das Gänseblümchen, die Katze & der Zaun
Ab 5 Jahren
Tyrolia-Verlag Innsbruck 2015
978-3-7022-3437-9
EUR 14,95
Veronika Mayer-Miedl