Von Natalia Chernysheva. Ab 5 Jahren. Atlantis Verlag 2015,
Ein Buch zum Film.
Eine junge Frau fährt aufs Land.
Sie besucht ihre Mutter.
Ein Wiedersehen, eine Annäherung, ein Glücksmoment.
Riesinnenhaft beugt sich die mädchenhafte Gestalt am Buchcover über das Häuschen, das ihr gerade einmal bis zum Knie reicht. Die Bedeutung der Mutter im Leben der Frau dürfte vernachlässigbar geworden sein. Wir sehen sie in einen gelben Autobus steigen, der in der Stadt zwischen Hochhäusern losfährt. Außer den Schriftzügen auf den Gebäuden erzählt Chernysheva ausschließlich in Bildern. Wir folgen dem Bus hinaus aus der Stadt, munter braust er durch einen Fichtenwald davon. In verlassener Landschaft, einer weiten Steppe, mitten im Nirgendwo, steigt die Frau aus und wendet sich dem kleinen Häuschen zu, das sich schief an einen einsamen Baum drückt. Je näher sie ihrem Elternhaus kommt, umso stärker scheint sie zu wachsen.
Vielleicht unternimmt sie gerade nur aus Pflichtgefühl einen Höflichkeitsbesuch zum Muttertag? Alles erscheint ihr winzig und unwichtig, viel kleiner als in ihrer Erinnerung aus Kindertagen. Ihre Mutter blickt zu ihr hoch wie ein hutzeliges Däumelinchen, wie eine Schnecke zwischen Salatköpfen. Die verzerrte Perspektive ist enorm, die Tochter baut sich auf wie ein Turm. Sie wird wohl sehr lange nicht zuhause gewesen sein. Das Winzlingsmütterlein schmiegt sich in inniger Umarmung der Tochter ans Fußgelenk, die gerade geernteten roten Äpfel kugeln ihr aus den Händen.
Der Kuss, der nun folgt, die Lippen der Riesentochter groß wie eine Saugglocke auf dem Gesicht der überglücklichen Mutter, bringt wie im Märchen die Verwandlung. Zusätzlich wirkt der köstliche Duft aus Mutters Suppentopf, der Töchterleins Nase kitzelt.
Sie ist endlich angekommen: Als kleines Mädchen, das kaum über die Tischkante gucken kann, sitzt sie, mit einem Löffel bewaffnet, vor dem vollen Suppenteller. Mutters gelber Sonnenhut ist ihr viel zu groß. Sie rutscht vom Sessel, krabbelt unter dem Tisch durch und taucht neben ihrer Mutter wieder auf. Ganz fest drückt sie sich an sie und lehnt sich gegen ihre Schulter. So bleiben die beiden lange sitzen, die Alte und die Junge, auf der Bank am Tisch vor dem kleinen Blockhaus, umgeben vom Federvieh im Gemüsegarten unter dem Apfelbaum der ländlichen Idylle. Alles ist gut.
Beinah nur in strengem Schwarz-weiß gearbeitet, erreicht der sparsame Einsatz von Rot – die Lippen, die Äpfel, die Suppe –, Gelb und blassem Grün im Buch eine Zartheit, die die Innigkeit dieser Begegnung intensiv wiedergibt. Eine wunderschöne kleine Geschichte, die auch erwachsene Töchter ihren Müttern anstatt eines Blumenstraußes schenken könnten.
Natalia Chernysheva, geboren in Swerdlowsk in der Ukraine, hat an der Ural-Staatsakademie Grafik und Zeichentrickfilm studiert. Im Sommer 2014 hat sie ihre Ausbildung an der Kunsthochschule in Frankreich abgeschlossen. Le Retour ist die Buchfassung des Zeichentrickfilms, mit kleinen Variationen, ein wenig anders als im Film.
Viel Vergnügen
Veronika Mayer-Miedl