Eine außergewähnliche und witzig- schräge Parabel für alle ab 10 Jahren – doch auch mit- und vorlesende Erwachsene entdecken in “Die unglaublichen Abenteuer des Barnaby Brocket” eine ganze Menge versteckter Weisheiten.

Buchcover: KJB Fischer Verlag

Barnaby Brocket ist anders. Vom ersten Lebenstag an widersetzt er sich der Schwerkraft und schwebt unkontrolliert in die Luft. In eine sehr angepasste, ängstliche, fast schon gefühlskalte Familie aus Sydney hineingeboren, löst sein Vater das Problem mit dem Baby Barnaby vorerst sehr konkret und sachlich mit einer Matratze, die er an die Zimmerdecke nagelt. Doch das Fliegen – seit Menschengedenken (Ikarus!) ein unerfüllbarer Wunsch – stellt sich im Laufe der Jahre als echte Zerreißprobe für die Familie heraus. Man ahnt es, der schwerelos schwebende Junge hat es alles andere als leicht.

Als jüngstes von drei Kindern enttäuscht er die Ansprüche seiner Eltern maßlos. Die wollen nichts sehnlicher als „normal“ sein, bemühen sich verzweifelt, nur ja nicht aufzufallen, wurden sie doch beide selber von ihren Eltern gegen ihren Willen an die Öffentlichkeit gezerrt, wie sich nach und nach herausstellt.

 

Die skurrile Abnormität ihres Sohnes versuchen sie zu verheimlichen. Sie schämen sich für ihn, verstecken den Jungen innerhalb des Hauses und werfen ihm vor, sich nicht genug darum zu bemühen, normal zu sein. Schließlich schicken sie den Schulpflichtigen in eine Anstalt voller Freaks, die „Ultimative Akademie für unerwünschte Kinder“. Nicht einmal auf eigenen Wunsch verlässt der treue und gutherzige Sohn die Familie, seine Mutter schneidet nach geheimem Abkommen mit ihrem Mann ein Loch in Barnabys roten Sandrucksack, der ihn am Boden halten soll und zwingt ihn zum Davonschweben in die Weiten der Himmelssphären.

 

Unfreiwillige Reise in die Unabhängigkeit

Mit der liebevollen Aufnahme im Heißluftballon zweier schrulliger älterer Damen, die unterwegs zu ihrer Kaffeeplantage in Brasilien sind, beginnt die Verkettung wundersamer Begegnungen. Hier darf er erst einmal auftanken, bevor es weiter nach New York geht. Und immer wieder erfährt Barnaby, dass er mit seinem Schicksal nicht alleine ist. Auch andere wurden von den Eltern verstoßen, weil sie deren Ansprüchen nicht genügen konnten: Sie wollen als beste Freundinnen statt mit Ehemännern ihr Leben verbringen; lieber brotloser Künstler sein als die millionenschwere Firma des Vaters übernehmen; lieber Kunstkritiker werden, als der sinnentleerten Oberflächlichkeit des Elternhauses nacheifern. Barnaby gelingt es, mutig in die Geschicke anderer einzugreifen und die Dinge ins Lot zu bringen. Er selbst gewinnt an Selbstvertrauen und alles scheint gut zu werden. Endlich kann er die ersehnte Heimreise zu seiner Familie antreten. Erstaunlicherweise versucht er von Anfang an, nach Hause zu kommen, auch wenn er dort nicht ins Schema passt. Aber schließlich ist Barnaby noch ein Kind und gehört dorthin.

 

Mit einer kräftigen Prise irischen Humor

Doch gerade an dieser Stelle spitzt der Autor die Handlung dramatisch zu: Barnaby wird gefangen genommen und soll mit einer Gruppe anderer Ausnahmegeschöpfe in einer Art Freakshow auftreten.  So trifft er seinen Freund aus der Schulzeit wieder. John Boyne, der bereits u. a. mit dem Roman „Der Junge im gestreiften Pyjama“ weltweit auf sich aufmerksam machte, verblüfft im letzten Drittel mit kompromisslosen Einfällen und unvermuteten Wendungen. Barnabys Drama vermittelt er unbeschwert als spannende Abenteuergeschichte. Das Ende kommt überraschend doch keineswegs als Enttäuschung daher. Barnabys autonomes Leben fängt am Schluss der Geschichte erst richtig an: Eine wertvolle Botschaft, die Mut macht, sich scheinbar Unmöglichem zu stellen und über sich selbst hinauszuwachsen.

 

Illustrationen von Oliver Jeffers

Der Künstler wurde wie der Held der Geschichte in Australien geboren, zog dann nach Irland, wo auch Boyne lebt, reist viel durch die Welt und wohnt nun in New York. Parallelen mit der Handlung nicht ausgeschlossen! Er hat bereits viele eigene sehr erfolgreiche Bilderbücher geschaffen. Auch das Coverbild stammt von ihm. Die Leichtigkeit und Zartheit seiner Bilder verleihen dem besonderen Ton der Erzählung eine zusätzliche feine Schwingung.

 

Die unglaublichen Abenteuer des Barnaby Brocket. Von John Boyne, mit Bildern von Oliver Jeffers. 2013 im KJB Fischer Verlag, 978-3-596-85576-6, 15,50 Euro

 

Für Lehrerinnen und Lehrer bietet der Verlag über seine Website umfangreiche und wertvolle Unterrichtsmaterialien zum Download an.

 

Veronika Mayer-Miedl