Ein Mädchen wird bei einer Party-Nacht vergewaltigt. Sie erinnert sich an nichts – findet aber am nächsten Tag eindeutige Videos und Bilder der Nacht auf Twitter und weiteren Social Media Kanälen. Die Hauptreaktion der Menschen in ihrer Umgebung: Sie sei selbst schuld, dass ihr so etwas passiert sei. Wie wir mit Opfern umgehen, hat sich mit den neuen Medien nicht verändert; wohl aber zeigen sie uns noch deutlicher auf, wo Handlungsbedarf besteht.
Die neuen Medien spielen im Leben der heutigen Kinder und Jugendlichen eine große Rolle. Ein Teil ihres Lebens spielt sich rein online ab – auf Facebook, Twitter & Co. stellen sich die jungen Menschen dar, wie sie sind oder sein wollen, und werden dabei mit der Bewertung ihrer Gleichaltrigen konfrontiert. Auch hier gibt es Mobbing. Auch hier gibt es Ausgrenzung – oft in einem noch größeren Bereich, da alles, was online ist, von einer größeren Gruppe gelesen werden kann, als wenn es im kleinen Kreis in der Freizeit oder in der Klasse geschieht.
Die Fotos des Streubenville-Falls machten online schnell die Runde. Das Mädchen aus Ohio hatte sich bis zur Besinnungslosigkeit betrunken und war von einer Gruppe Football-Spielern auf verschiedene Party-Locations geschleppt worden. Manche Fotos zeigen sie kaum bekleidet. In einem Video macht sich ein Jugendlicher darüber lustig, dass sie gerade vergewaltigt würde. Als die Jugendliche damit an die Öffentlichkeit ging, kamen die oft üblichen Reaktionen des so genannten „victim blaming“. Sie trüge, da sie volltrunken gewesen sei, eine Mitschuld an der Tat.
Auch im darauf folgenden Gerichtsprozess wurde die Tat von den Medien verharmlost. Die Täter seien minderjährig. Man könne ihnen keine Haftstrafe mit Eintrag ins Strafregister zumuten – ihr Leben sei ruiniert. Inwiefern das Leben des Opfers durch die Vergewaltigung ruiniert wurde, und noch mehr durch das Verhalten der Stadtgemeinde, wurde nicht thematisiert. In einem ähnlichen Fall erlebte das Vergewaltigungsopfer von seiner Umgebung eine derartige Ausgrenzung und Online-Mobbing, dass es sich erhängte.
Warum „victim blaming“ geschieht
Einer der Gründe, warum Menschen oft Opfer stigmatisieren, ist um sich selbst abzugrenzen und Distanz zwischen der eigenen Lebenswelt und der Tat zu schaffen. Mobbing geschieht täglich. Genauso werden Frauen täglich herabgewürdigt und degradiert – was sich, je nach Gesellschaft und kulturellem Bild, auch in der Zahl an Vergewaltigungen niederschlägt. Leichter lebt es sich, wenn man dies nicht als Teil der eigenen Lebensrealität sehen muss. „Es ist ihr passiert – aber sie ist selbst Schuld. Ich bin nicht wie sie, ich handle anders. Daher kann es mich nicht treffen“, so der Gedankengang. Man macht sich selbst unantastbar.
Damit schieben wir jedoch Verantwortung von uns weg. Wir ignorieren, dass an der Tat die Täter schuld sind, nicht die Opfer. Und damit setzen wir am falschen Punkt an – denn Opfer zu stigmatisieren ist leichter, als eine Gesellschaft dorthin zu bringen, wo die Täter, die Macht über die Schwächeren ausüben, diese Macht nicht missbrauchen.
Als Resultat wissen viele Vergewaltigungsopfer, dass sie von der Gesellschaft als mitschuldig gesehen werden. Sie bringen die Tat nicht zur Anzeige, sprechen nicht darüber und fühlen sich nicht sicher dabei, an die Öffentlichkeit zu gehen. Die Täter werden damit geschützt, die Opfer leider ihr Leben lang.
Internetmobbing: Zwei Monate Untersuchungshaft für 14-Jährige
Wie hilflos sich manche Jugendlichen dem Online-Mobbing ausgeliefert fühlen, zeigt ein Fall aus der Steiermark: Nachdem sie monatelang vom „Chef“ der Klassengemeinschaft auf Facebook aufs wüstete beschimpft wurde, griff eine 14-jährige Jugendliche ihren Peiniger mit einem Messer an. Der Junge konnte das Krankenhaus nach drei Tagen wieder verlassen. Für die Jugendliche endete die Tat in der Untersuchungshaft, zwei Monate in einer Zelle mit einer Frau, die einen schweren Raub verübt hatte. Nur sechs Stunden pro Woche durfte sie Besuch bekommen, und das nur von ihrer engsten Familie. Die psychischen Schäden, die das Mädchen dadurch eventuell davontragen könnte, wurden von der Justiz negiert.
Hier steht die Tat im Vordergrund – und oft ungesehen ist das, was sich im Vorfeld online abspielt. Immer wieder konnte sich die 14-Jährige online von dem Mitschüler anhören, er würde sie „zaficken“, „aufschlitzen“, sie beim Fenster hinauswerfen. In Zeiten des Internets, des permanenten Online-Seins, hat auch Mobbing seine Tragweite ums Vielfache verstärkt. Konnten sich Kinder und Jugendliche ihren Tätern früher entziehen, nachdem sie von der Schule nach Hause kamen, können die Täter ihre Opfer heutzutage rund um die Uhr quälen. Wer gemobbt wird, traut sich dabei trotzdem nicht, zu den Eltern oder nach außen zu gehen – aus Angst, ihnen würde das Handy weggenommen werden. Eine für viele logische Konsequenz, die dennoch am Kern der Sache vorbei geht. So wie beim „victim blaming“ stünde hier die Idee im Vordergrund, wie man sich selbst davor schützt. Der beste Schutz ist jedoch Prävention.
Eine neue Kultur der Wertschätzung
Sich schützen zu wollen ist kurzfristig gesehen eine akzeptable Alternative. Unser erster Gedanke ist immer, wie man dafür sorgen kann, das man selbst nicht betroffen ist, genauso wenig wie die Menschen in unserem Umfeld, die wir lieben. Langfristig müssen wir uns jedoch vom Selbstschutz wegbewegen, hin zu Präventivvorsorge, die dafür sorgt, dass solche Taten seltener geschehen. Es braucht eine Umkehr vom negativen Trend, bei dem die Zahl der Vergewaltigungen steigt, die per Smartphone und ähnlichen Technologien aufgenommen und für die Nachwelt verewigt werden.
Denn Bilder nehmen die Realität nicht auf und geben sie wahrheitsgetreu wieder – sie verändern die Realität. Wenn wir Videos sehen, die zeigen, wie jemand einen tätlichen Angriff aufgenommen hat, um ihn im Freundeskreis weiter zu verbreiten, wird unser Bild, wie es in der Welt abläuft verändert.
Diese Prävention muss langfristig stattfinden, da sie nur mit einem gesellschaftlichen Wandel kommen kann – einer Veränderung unseres Bildes, wie wir miteinander umgehen und uns gegenseitig behandeln und respektieren. Will man Vergewaltigung und Mobbing verhindern, kann es nicht darum gehen, wie Frauen und schwächere Gruppen sich schützen können, sondern wie man Menschen heranzieht, die nicht vergewaltigen und nicht mobben.
Vieles hat dabei damit zu tun, welches Bild von „Mann“ und „Frau“ wir transportieren und weitergeben. Jungen werden nicht aufgezogen, um Männer zu werden – vielmehr wird ihnen eingebläut, „nicht Frauen/verweichlicht/schwul“ zu werden. Diese Ideen von Männlichkeit, mit denen wir aufgezogen wurden und die wir nach wie vor vermitteln, müssen wir hinterfragen und neue Konzepte entwerfen, die Misogynie und Machtmissbrauch nicht ermöglichen. Konzepte von Männlichkeit, die nicht darauf bauen, Macht über Frauen zu haben, sondern Macht mit Frauen gemeinsam.
Das beinhaltet auch, in der Erziehung unsere Kinder ihnen Mitgefühl und Empathie beizubringen. Und ihnen das Selbstbewusstsein zu vermitteln, damit sie sich trauen, für eine gute Sache einzustehen, auch wenn sie damit in ihrem Umfeld eventuell unbeliebt werden. Es ist leichter, mit der Masse zu schwimmen, statt sich mit den Ausgegrenzten zu solidarisieren. Denn im letzteren Fall geschieht es häufig, dass man selbst ausgegrenzt wird. Wichtig ist, Kindern und Jugendlichen zu vermitteln, was as Richtige ist – und sie darin zu unterstützen, es zu tun und dafür einzutreten, auch wenn dem Konsens der Masse entgegen geht.
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